Auslegung von letztwilligen Verfügung

Dezember 2014

Unter dem Begriff „letztwillige Verfügungen“ werden sowohl Testamente als auch Vermächtnisse zusammengefasst. Während man unter einem Testament eine letztwillige Verfügung versteht, die eine Erbeinsetzung enthält und somit festlegt, wer den ganzen Nachlass oder einen quotenmäßig bestimmten Teil erben soll, bestimmt der Erblasser mit einem Vermächtnis (= Legat) jemanden, der nur bestimmte Dinge aus dem Nachlass (z.B. ein Grundstück) erhalten soll.

Die Auslegung von Testamenten und Vermächtnissen sind oftmals Gegenstand von Gerichtsverfahren, wobei die Schwierigkeit meist darin besteht, den tatsächlichen Willen des verstorbenen Erblassers zu erforschen. Eine interessante Entscheidung hat diesbezüglich vor kurzem der Oberste Gerichtshof (OGH) gefällt:

Ein Mann hat wenige Tage vor einer Operation ein handschriftliches Vermächtnis verfasst, in welchem er seinen Wunsch geäußert hat, dass eine bestimmte Frau, mit welcher er viel Zeit verbrachte, sein Grundstück (samt Haus) erhalten soll. Dieses Vermächtnis schickte er mit einem „Post-it“ an einen befreundeten Notar, wobei er den Notar mittels Vermerk auf dem „Post-it“ bat, dieses Vermächtnis noch vertraulich zu behandeln, da er noch nicht mit seinem Sohn darüber gesprochen habe. Auch teilte er dem Notar am nächsten Tag nochmals telefonisch mit, dass er das Grundstück nicht der Frau geben möchte, ohne vorher mit seinem Sohn gesprochen zu haben.

Bedauerlicherweise verstarb der Mann bevor er mit seinem Sohn darüber sprechen konnte. Sein Sohn verweigerte in weiterer Folge die Herausgabe dieses Grundstückes an die Frau, und zwar mit dem Argument, dass sein Vater das Vermächtnis lediglich unter der Bedingung verfasst hat, dass er vorher noch mit seinem Sohn spricht, wozu es jedoch nicht mehr gekommen ist. Die Frau brachte daraufhin eine Klage gegen den Sohn auf Übereignung des Grundstückes ein. Während das Erstgericht dieser Klage stattgab, änderte das Berufungsgericht diese Entscheidung ab und wies das Klagebegehren ab.

Schließlich beschäftigte sich der OGH mit diesem Sachverhalt. Dieser führte aus, dass das eigentliche Vermächtnis keine Anhaltspunkte dafür liefert, dass der verstorbene Mann seinen Wunsch vom Eintritt einer Bedingung abhängig machen wollte. Nach Ansicht des OGH lasse sich das Verhalten des Verstorbenen nur dann sinnvoll deuten, wenn man davon ausgeht, dass er vor seiner Operation die Versorgung der Frau sicherstellen wollte, dies seinem Sohn jedoch – um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen – in einem persönlichen Gespräch mitteilen wollte. Der OGH erblickte daher in dem Vermerk auf dem „Post-it“ lediglich eine Verwahrungsanordung, jedoch keine Bedingung, und gab der Klage der Frau statt.