Haftung für Sturz eines Fahrgastes beim Einsteigen

September 2017


Der Oberste Gerichtshof (OGH) hatte sich kürzlich mit nachfolgendem Sachverhalt zu beschäftigen:

Die 1939 geborene Klägerin kam beim Einsteigen in einen Linienbus zu Sturz und verletzte sich dabei schwer. Der Unfall hat sich derart zugetragen, als dass der Fahrer den Bus vor dem Unfall knapp an die Bordsteinkante gelenkt hat. Die Klägerin ließ zunächst Fahrgäste aussteigen und wollte dann einsteigen, wobei sie zunächst einen an der Innenseite der Türflügel angebrachten Haltegriff erfasste. Aufgrund der Gebrechlichkeit der Klägerin befand sich das gewichtsbelastete Bein der Klägerin noch außerhalb des Busses auf dem Gehsteig, als sich die Tür zu schließen begann. Die Klägerin kam dann während des Schließvorganges der Türe zu Sturz. Der Türmechanismus entsprach nach den Ausführungen des Sachverständigen dem Stand der Technik und war voll funktionsfähig.

Sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht verneinten eine Haftung der Halterin des Linienbusses. Der OGH geht hingegen von einer Haftung der Halterin aus und begründet dies in seiner Entscheidung wie folgt:

Das Einsteigen ist ein mit dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zusammenhängender Vorgang. Ein Unfall beim Einsteigen begründet daher nach § 5 Eisenbahn- und Kraftfahrzeughaftpflichtgesetz (EKHG) die Haftung des Halters, wenn ihm nicht der Entlastungsbeweis nach § 9 EKHG gelingt. Nach dieser Bestimmung ist die Ersatzpflicht ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit noch auf einem Versagen der Verrichtungen des Kraftfahrzeugs beruhte.

Nach Ansicht des OGH schließt im vorliegenden Fall ein Mangel in der Beschaffenheit des Linienbusses das Vorliegen eines unabwendbaren Ereignisses aus. Zwar habe der Sachverständige ausgeführt, dass der Schließmechanismus der Tür dem „Stand der Technik“ entsprochen habe. Das ändere aber nichts an dessen konkreter Gefährlichkeit für Fahrgäste, deren geistige und/oder körperliche Beweglichkeit aufgrund Alters, Gebrechlichkeit oder anderer Gründen beeinträchtigt ist. Eine Zeitspanne von knapp zwei Sekunden zwischen dem Ertönen des Warntons und dem Schließen reiche bei solchen Fahrgästen nicht in jedem Fall, um ein davor begonnenes Einsteigen so weit fortzusetzen, dass die „Lichtdusche“ ausgelöst und dadurch das Schließen verhindert wird. Für ältere oder gebrechliche Personen sei eine adäquate Reaktion innerhalb von knapp zwei Sekunden keineswegs immer möglich. Es liege daher eine mangelhafte Beschaffenheit vor, die die Annahme eines unabwendbaren Ereignisses ausschließt. Da der Klägerin auch kein Mitverschulden nachgewiesen werden konnte, wurde dem Klagebegehren stattgegeben.