Keine Freiheitsersitzung durch Absperrkette

Allgemeines Zivilrecht
Februar 2022


Gemäß § 1479 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) erlöschen (verjähren) Dienstbarkeiten durch dreißigjährige (in besonderen Fällen vierzigjährige) Nichtausübung. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist oder nicht. Von besonderer Bedeutung ist, dass bereits die teilweise Ausübung der Dienstbarkeit ausreicht, um die Verjährung des entsprechenden Rechtes gänzlich zu verhindern. Eine Dienstbarkeit verjährt somit nur bei vollständiger Nichtausübung über einen Zeitraum von dreißig bzw. ausnahmsweise vierzig Jahren. Durch eine Teilausübung der Dienstbarkeit wird die Verjährungsfrist unterbrochen, was bedeutet, dass diese Verjährungsfrist nach (Teil-)Ausübung der Dienstbarkeit wieder neu zu laufen beginnt.

Von dieser allgemeinen Verjährung ist die Freiheitsersitzung („usucapio libertatis“) gemäß § 1488 ABGB zu unterscheiden. In diesem Fall kommt es dann zum Erlöschen der Dienstbarkeit, wenn sich der Dienstbarkeitsverpflichtete der Ausübung der Dienstbarkeit widersetzt und der Dienstbarkeitsberechtigte sein Recht nicht innerhalb von drei Jahren gerichtlich geltend macht. Im Unterscheid zur (gewöhnlichen) Verjährung durch Nichtausübung verhindert im Falle der Freiheitsersitzung eine teilweise Ausübung der Dienstbarkeit nicht die Verjährung der gesamten Dienstbarkeit, sondern kommt diesfalls auch ein Teilverlust des Dienstbarkeitsrechtes in Betracht.

Errichtet der Dienstbarkeitsbelastete beispielsweise ein Gebäude auf der Dienstbarkeitstrasse (z.B. Geh- und Fahrweg), muss der Dienstbarkeitsberechtigte binnen drei Jahren ab Errichtung des Gebäudes eine Klage auf Entfernung desselben einbringen, um sein Recht nicht zu verlieren.

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde:

Der Beklagte ist grundbücherlicher Alleineigentümer von Waldgrundstücken, über die ein Wanderweg führt, der zumindest seit den 1960er Jahren von Gemeindeangehörigen der Klägerin und Touristen benutzt wird. Weder der Beklagte noch dessen Rechtsvorgänger untersagten dies. Im Jahr 2011 ließ der Beklagte im Bereich der Grenze seiner Grundstücke zum öffentlichen Gut quer zum Wanderweg eine Eisenkette anbringen, die das Bewandern des Weges allerdings nicht nachhaltig behindert: In der Natur hat sich durch die häufige Nutzung ein Steig gebildet, der links und rechts an der Kette vorbei zur Wegtrasse zurückführt.

Der OGH führt in seiner Entscheidung aus, dass eine – die Freiheitsersitzung auslösende – Beeinträchtigung einer Wegeservitut ein (wenngleich nicht unüberwindliches, so doch) die Servitutsausübung beträchtlich beeinträchtigendes Hindernis erfordert, das die ungehinderte Benützung des Dienstbarkeitswegs auf gewöhnliche und allgemein übliche Art unmöglich macht. Auch wenn es zutreffend sei, dass ein Hindernis zur Freiheitsersitzung führen kann, wenn es von den Berechtigten durch rechtswidriges Betreten des Nachbargrundes oder Überklettern eines Zaunes umgangen wird, sei dies im vorliegenden Fall nicht festgestellt worden. Auch sei der vorliegende Fall nicht mit dem Überklettern eines Zaunes vergleichbar, denn die vom Beklagten gespannte Kette konnte von den Wanderern auf einfachste Weise überstiegen oder links und rechts umgangen werden, sodass sich an den entsprechenden Stellen sogar bereits Trassen gebildet hatten. Der OGH gelangte daher zu dem Ergebnis, dass die vom Beklagten angebrachte Eisenkette kein Hindernis darstellt, dass zur Freiheitsersitzung führen kann.