Streu- und Räumpflicht des Liegenschaftseigentümers auch bei überbreitem Gehsteig

Liegenschaftsrecht Schadenersatzrecht
Juli 2022


Gemäß § 93 Abs 1 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) trifft Eigentümer einer Liegenschaft im Ortsgebiet, ausgenommen Eigentümer von unverbauten, land- und forstwirtschaftlich genutzten Liegenschaften, die Pflicht, dem öffentlichen Verkehr dienende Gehsteige und Gehwege bis zu einer Entfernung von 3 m entlang der Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen zu säubern sowie bei Schnee und Glatteis zu streuen.

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beklagte ist Eigentümer eines Eckgrundstückes, um welches sich im Verlauf einer Straßenkreuzung ein Gehsteig befindet. Auf einer Seite ist der Gehsteig etwa 2,6 m breit und befindet sich zwischen Gehsteig und der angrenzenden Straße eine Grünfläche mit Bäumen. Auf der anderen Seite beträgt die Breite des Gehsteiges im Bereich einer Bushaltestelle ca. 4,6 m und verjüngt sich dieser Gehsteig bis zu einer Breite von 2,7 m. Im Kreuzungsbereich erweitert sich der Gehsteig über eine Länge von ca. 15 m entlang der Grundstücksgrenze in ein „weitläufiges, annähernd kreisrundes Areal“, wobei der Abstand zwischen der Grenze der Liegenschaft des Beklagten und der Gehsteigkangte bis zu 18 m beträgt.

Die Klägerin kam im weitläufigen Areal im Kreuzungsbereich am Gehsteig in Folge von Glatteis zu Sturz und begehrte mit Ihrer Klage vom Beklagten ein angemessenes Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung des Beklagten für weitere Schäden.

Der Beklagte wandte ein, dass er die ihn treffende Pflicht erfüllt habe, indem er den Gehsteig am Unfalltag in einer Breite von mindestens 3 m entlang der Liegenschaftsgrenze geräumt hat und die Klägerin in einer Entfernung von etwa 6 m zu Sturz kam.

Der OGH führte zunächst aus, dass sich der OGH erstmals im Jahr 1995 mit der „3 m-Grenze“ befasst habe und dabei zu dem Ergebnis gelangt sei, dass eine sinnvolle Auslegung dieser Bestimmung nur bedeuten könne, dass den Liegenschaftseigentümer eine Streupflicht für den ganzen Gehsteig treffe, sofern nur die (straßenabgewandte) Gehsteigbegrenzung nicht mehr als 3 m entfernt ist. Würde man die Streupflicht genau mit 3 m von der Grundstücksgrenze limitieren, könnte das nämlich dazu führen, dass ein Liegenschaftseigentümer bloß einige Zentimeter des Gehsteigs zu bestreuen hätte. Es erscheine völlig sinnwidrig und der Verkehrssicherheit abträglich, die Streupflicht innerhalb einer Gehsteigfläche aufzuteilen.

Hingegen vertrete der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) die Ansicht, dass eine gesetzliche Verpflichtung zur Betreuung von Gehsteigen für Anrainer nur im Maximalausmaß von 3 m bestehen könne.

Nach Ansicht des erkennenden Fachsenats würden allerdings die besseren Gründe für die Annahme sprechen, dass § 93 Abs 1 StVO eine Verpflichtung des Liegenschaftseigentümers zur Säuberung und Streuung des Gehsteigs in seiner gesamten Breite normiert, sofern nur die (straßenabgewandte) Gehsteigbegrenzung nicht mehr als 3 m entfernt ist. Für diese Auslegung spreche bereits der Wortlaut der Bestimmung. Während Satz 1 des § 93 Abs 1 StVO von Gehsteigen und Gehwegen „in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m“ spreche, sehe dessen Satz 2 explizit eine Verpflichtung nur im Ausmaß einer „Breite von 1 m“ vor. Hätte der Gesetzgeber ein maximales Ausmaß der Betreuungspflicht im Hinblick auf einen Gehsteig (Gehweg) normieren wollen, wäre ihm dies durch Verwendung einer dem Satz 2 vergleichbaren Formulierung auf einfache Weise möglich gewesen. Der OGH bejahte damit die Haftung des beklagten Liegenschaftseigentümers.