„Tourengeher-Abende“ – Verkehrssicherungspflicht vs. Eigenverantwortung

Schadenersatzrecht
Dezember 2022

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger, ein erfahrener Schitourengeher, verletzte sich, als er beim nächtlichen Abfahren an einem „Schitourengeherabend“ von dem vom Zweitbeklagten betriebenen Berggasthof auf der bereits gesperrten Piste im Schigebiet der Drittbeklagten mit dem Windenseil der vom Erstbeklagten gefahrenen Pistenraupe kollidierte.

Die drittbeklagte Betreiberin des Schigebietes hatte im Jahr 2017 „Tourengeher‑Abende“ eingeführt, die an unterschiedlichen Wochentagen in verschiedenen Bereichen ihres Schigebietes stattfanden. Mit dem zweitbeklagten Betreiber des Berggasthofes wurde eine Sperrstunde um 22:00 Uhr vereinbart, um eine gefahrlose Abfahrt bis 22:30 Uhr zu ermöglichen und ab 22:30 Uhr die Pisten für Präparierungsarbeiten sperren zu können.

Entsprechende Hinweise fanden sich auf der Homepage der Betreiberin des Schigebietes und in Form eines Plakats in A3‑Format auch bei der Eingangstür zur Gaststube des Berggasthofes. Zusätzlich wurde dieses Informationsblatt auf einem Klemmbrett der Abendspeise- und Getränkekarte befestigt. Der zweitbeklagte Betreiber des Berggasthofes hat zudem alle Mitarbeiter angewiesen, Gäste spätestens um 22:00 Uhr zur Abfahrt aufzufordern. Darüber hinaus wurden über das Schigebiet verteilt – teils beleuchtete – Warntafeln angebracht, die auf die Pistenpräparierungsarbeiten (und Windenseile) hinweisen und dort stehen, wo üblicherweise Tourengeher vorbeikommen.

Der Kläger startete seine Schitour gegen 20:00 Uhr und passierte mehrere beleuchtete Warnschilder, die auf die Gefährlichkeit von Präparierungsarbeiten mit Windenseilen hinwiesen. Er erreichte das Lokal des Zweitbeklagten gegen 21:30 Uhr. Nachdem die Küche kein Essen mehr lieferte (was ab 22:00 Uhr der Fall ist), forderte die Kellnerin die Gäste mit lauter Stimme auf abzufahren, weil die Pisten präpariert werden. Das Informationsblatt zur Abfahrtsroute und der Pistensperre, das dem Menüplan angeschlossen war, hatte der Kläger nicht angeschaut, weil ihm die Route geläufig war. Er achtete nicht auf die Uhrzeit, obwohl er von der Pistensperre für Präparierungsarbeiten wusste, und verließ die Hütte erst so spät, dass er die Mittelstation erreichte, als die von ihm zu befahrende Piste unterhalb bereits mit einem Absperrband mit Reflektoren für die Präparierungsarbeiten am Windenseil abgesperrt war. Dort befand sich auch ein Warnschild mit eingeschalteter Drehleuchte und dem Hinweis auf Lebensgefahr wegen des Pistengeräts im Einsatz. Der Kläger nahm die Absperrung wahr und ihm war bewusst, dass die Piste mit Windenseilen präpariert wird und Lebensgefahr besteht. Er fuhr dessen ungeachtet unter der Absperrung durch und auf der Piste in zügigem Tempo mit Parallelschwüngen hinunter. Der Kläger bemerkte die stehende Pistenraupe des am rechten Pistenrand, fuhr aber vorbei, ohne Kontakt mit dem Pistenraupenfahrer aufzunehmen. Die darunter befindliche Pistenraupe des Erstbeklagten und das Windenseil übersah er, fuhr dagegen und verletzte sich.

Der Kläger brachte in Folge eine Klage gegen den Pistenraupenfahrer, den Betreiber des Berggasthofes und die Betreiberin des Schigebietes ein. Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht wiesen die Klage ab.

Der OGH bestätigte diese Entscheidung und führte in seiner Begründung aus, dass auf den vorliegenden Sachverhalt die gefestigte höchstgerichtliche Rechtsprechung zum sogenannten „Spätheimkehrer“, der erst nach Pistenschluss abfährt, anzuwenden sei. Nach dieser Rechtsprechung sei der „Spätheimkehrer“ zur besonderen Vorsicht verpflichtet, weil er nicht nur damit rechnen müsse, dass nichts mehr gegen natürliche Hindernisse, die den Pistenzustand betreffen, unternommen wird. Er müss auch mit Arbeiten auf der Piste rechnen, die nur um diese Zeit überhaupt oder ausreichend intensiv ausgeführt werden können. Der Unfall ereignete sich jedenfalls nach 22:45 Uhr (dem Zeitpunkt des Einhängens der Seilwinde), als die Piste bereits offiziell geschlossen war, worauf der Kläger nicht nur durch die von ihm wahrgenommenen Warntafeln, sondern auch durch die Aufforderung der Kellnerin des Zweitbeklagten und die erkennbare Sperre der Piste in diesem Bereich unmissverständlich hingewiesen worden war.

Zudem führte der OGH aus, dass die Beklagten ihren Verkehrssicherungspflichten ausreichend nachgekommen sind, in dem sie Warnschilder und eine beleuchtete Warnleuchte aufgestellt, die Piste abgesperrt und nicht nur auf die Sperrstunde und den Beginn der Pristenpräparierungsarbeiten durch Hinweistafeln aufmerksam gemacht haben, sondern die Gäste zusätzlich durch einen „Aufruf“ der Kellnerin zum Abfahren aufgefordert wurden. Die Klage sei von den Vorinstanzen daher zu Recht abgewiesen worden.