Umgestürzter Baum - Haftungsprivileg nach dem ForstG 1975

September 2022

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde:

Am 24. 6. 2019 verletzte sich der Erstkläger, in dem er mit einem Motorrad gegen einen quer über eine Landesstraße liegenden Baumstamm stieß. Dieser stammte von einem den Beklagten gehörenden, an die Landesstraße angrenzenden Waldgrundstück. Der Baum brach unmittelbar vor dem Vorfall ab und rutschte über die Böschung auf die Landesstraße.

Der umgestürzte Baum war eine Rotkiefer mit einem mindestens 9,2 m langen, vermutlich zwischen 10 und 11 m langen Stamm, der sich auf der Böschung in einem Abstand von 14,5 m zum Straßenrand befand. Der Stamm war durch den Borkenkäfer und nachgeordnet durch den Kupferstecher befallen, sodass sich die Rinde ablöste. Dies war jedenfalls über ein Jahr hin sichtbar, beeinträchtigte jedoch nicht die Holzsubstanz und verursachte nicht den Baumsturz. Auslöser für den Bruch des Stammes war, dass sich die Holzsubstanz im unteren Stammbereich über mehrere Jahre hindurch durch Eindringen von Fäuleerregern – entweder des Wurzelschwammes oder des Kiefern-Braunporlings – zersetzte und sich das Holzfasergerüst schrittweise auflöste. Dieser Vorgang ist bei einer Rotkiefer von außen nicht bemerkbar, und zwar weder aus größerer Entfernung noch durch bloßen Augenschein von ganz nahe. Die Zersetzung der Holzsubstanz wäre nur durch Bohrungen im unteren Stammbereich erkennbar gewesen. Solche Bohrungen sind in der natürlichen Forstwirtschaft nicht üblich oder vorgesehen, sondern erfolgen nur anlassbezogen, etwa bei einer Zuwachsuntersuchung oder zur Altersbestimmung.
Der Erstkläger begehrte von den Beklagten u.a. € 7.500,- Schmerzengeld. Sowohl das Erst- als auch das Berufungsgericht wiesen das Klagebegehren ab. Der OGH bestätigte diese Entscheidung und führte im Rahmen seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass den Waldeigentümer und dessen Leute sowie sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen (wie Nutznießer, Einforstungs‑ oder Bringungsberechtigte, Schlägerungs‑ oder Bringungsunternehmer) und deren Leute gemäß § 176 Abs 2 Forstgesetz 1975 (ForstG 1975) grundsätzlich keine Pflicht zur Abwendung der Gefahr von Schäden treffe, die abseits von öffentlichen Straßen und Wegen durch den Zustand des Waldes entstehen könnten; sie seien insbesondere nicht verpflichtet, den Zustand des Waldbodens und dessen Bewuchses so zu ändern, dass dadurch solche Gefahren abgewendet oder vermindert werden. Wird ein Schaden auf Wegen durch den Zustand des danebenliegenden Waldes verursacht, so haften gemäß § 176 Abs 4 Satz 2 ForstG 1975 der Waldeigentümer, sonstige an der Waldbewirtschaftung mitwirkende Personen und deren Leute keinesfalls strenger als der Wegehalter. Wegen dieser ausdrücklichen Spezialbestimmung sei hier die Haftung auf grobe Fahrlässigkeit beschränkt. Nach der Rechtsprechung sei daher aus § 176 Abs 2 und Abs 4 ForstG 1975 ableitbar, dass diese den Waldeigentümer mit der Obsorgepflicht bei erkennbar gefährlichem Waldzustand entlang öffentlicher Straßen und Wege belasten.
Grobe Fahrlässigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung eine auffallende Sorglosigkeit, bei der die gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlichem Maße verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist.
Nach Ansicht des OGH sei die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes, wonach die Beklagten nicht grob fahrlässig gehandelt haben, nicht zu beanstanden. Dem Sachverhalt sei nämlich gerade nicht zu entnehmen, dass die für den Unfall ursächliche Schädigung der Holzsubstanz aus dem äußeren Erscheinungsbild des Baumes erkennbar (ableitbar) gewesen wäre. Auch wenn sich bei einer möglichen Nachschau eine Entfernung des Baumes als zweckmäßig herausgestellt hätte, sei eine Entfernung aber eben nicht zwingend unmittelbar erkennbar gewesen. Da somit in der fraglichen Unterlassung dieser Sicherungsmaßnahme kein extremes Abweichen von der gebotenen Sorgfalt erblickt werden könne, liege grobe Fahrlässigkeit nicht vor. Die Klage sei daher zu Recht abgewiesen worden.