Zum Umfang der Haftung eines Schneeräumungsunternehmens

Schadenersatzrecht
Januar 2023

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin ist Mieterin in einer städtischen Wohnhausanlage und stürzte an einem Morgen im März 2018 auf einer eisglatten Stelle im Kreuzungsbereich eines Gehwegs innerhalb dieser Anlage. Sie erlitt dabei einen doppelten Knöchelbruch. Die beklagte Gesellschaft war damals mit der Verrichtung des Winterdienstes beauftragt.

Am Tag vor dem Unfall schob ein Mitarbeiter der Beklagten frischen Schnee in eine (von einer Mauer begrenzte) Ecke des Kreuzungsbereichs, die auf einer leicht erhöhten Stelle lag, wobei sich auf der gegenüberliegenden abschüssigen Stelle ein Kanalgitter/Gully befand. Im Verlauf des Tages vor dem Unfall der Klägerin rann wegen der steigenden Temperatur das Schmelzwasser von diesem (vom Mitarbeiter geschaffenen) Schneehaufen zur späteren Unfallstelle, wobei sich in der Nacht Glatteis bildete, auf dem die Klägerin ausrutschte. Der wirtschaftliche Eigentümer der Beklagten kontrolliert die Schneeräumung, sobald der Mitarbeiter damit fertig ist, und war sowohl am Vortag des Unfalls nach der Räumung durch den Mitarbeiter (nachdem dieser den Schnee in das erhöhte Eck schob) als auch am Unfallstag (ca. zwei Stunden vor dem Sturz) an der Sturzstelle. Maßnahmen wegen des erkennbaren Schneeflecks bei der Unfallsstelle setzte er nicht.

Das Erstgericht wies das u.a. auf Schmerzengeld gerichtete Klagebegehren der Klägerin ab. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Der gegen das Berufungsurteil angerufene OGH lies die außerordentliche Revision der Klägerin zu und führte aus, dass die Klägerin zutreffend damit argumentiere, dass mit dem Ablagern einer Schneemenge in einem höher liegenden und von einer Mauer umgebenen Bereich die (sich letztendlich auch verwirklichte) Gefahr verbunden sei, dass Schmelzwasser bei einem (im März am Tag nicht unwahrscheinlichen) Temperaturanstieg abrinnen und in weiterer Folge (in der Nacht) gefrieren kann.

Der Umstand, dass sich der Sturz außerhalb des zu räumenden Bereichs ereignet haben soll, könne jedoch nicht zur Verneinung der Haftung führen, zumal die unsachgemäße Ablagerung der Schneemenge durch den Mitarbeiter eine davon unabhängige und zusätzliche Gefahrenquelle geschaffen habe und sich aus den Feststellungen eindeutig ergebe, dass sich die Eisstelle, an der die Klägerin stürzte, aus dem unsachgemäß abgelagerten Schnee gebildet hat.

Nach ständiger Rechtsprechung müsse derjenige, der eine Gefahrenquelle schafft oder in seiner Sphäre bestehen lässt, die notwendigen und ihm zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer nach Tunlichkeit abzuwenden. Auch wenn die Beklagte im vorliegenden Fall nur in den engen Grenzen des § 1315 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) hafte, und zwar (lediglich) für das Fehlverhalten untüchtiger und wissentlich gefährlicher Besorgungsgehilfen sowie für das Fehlverhalten ihrer Organe und aller anderen Personen in eigenverantwortlicher, leitender oder überwachender Funktion, hafte die Beklagte für die Unfallfolgen der Klägerin, weil der wirtschaftliche Eigentümer der Beklagten als Repräsentant der beklagten Gesellschaft unter den oben genannten Personenkreis falle. Dieser sei nämlich eigenverantwortlich und einflussreich für die Kontrolle der schneeräumenden Mitarbeiter der Beklagten zuständig und damit für sie in „gehobener“ Stellung tätig und habe es dieser verabsäumt, zumutbare Maßnahmen (z.B. Verlagerung des Schneeflecks zur niedrigeren Stelle beim Gully) zu veranlassen, um damit die Verwirklichung der erkennbaren von seinem Mitarbeiter geschaffenen Gefahr (Schneehaufen) zu verhindern. Der OGH sprach daher aus, dass die Beklagte dem Grunde nach für die Unfallfolgen der Klägerin zur Gänze haftet.