Schmerzengeld bei Vertauschung von Neugeborenen

November 2022


Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH) steht nahen Angehörigen (Eltern, Geschwister) bei grober Fahrlässigkeit des Schädigers Trauerschmerzengeld zu, auch wenn die Todesnachricht zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung mit Krankheitswert geführt habe. Ein Zuspruch setze das Bestehen einer intensiven Gefühlsgemeinschaft voraus, die bei im gemeinsamen Haushalt lebenden nahen Familienangehörigen typischerweise vorliege. Ohne Haushaltsgemeinschaft – etwa im Fall erwachsener, an verschiedenen Orten lebender Geschwister, die nur gelegentlich zusammenträfen – reiche das familiäre Naheverhältnis nicht aus. Dann habe der Geschädigte das Bestehen einer intensiven Gefühlsgemeinschaft, die jener einer Kernfamilie annähernd entspreche, zu beweisen.

Einer kürzlich vom OGH entschiedenen Rechtsache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde:

Nach über 20 Jahren stellte sich heraus, dass die während der aufrechten Ehe eines Ehepaars geborene Tochter gar nicht mit dem Ehepaar blutsverwandt ist, sondern nach der Geburt vertauscht wurde. Wie es zu dieser Vertauschung kommen konnte, steht nicht fest. Ebenso konnten die biologischen Eltern und die leibliche Tochter des Ehepaars nicht ausgeforscht werden. Seither bedrängt das Ehepaar die Ungewissheit, was mit ihrem leiblichen Kind passiert ist und wie es ihm ergangen ist und ergeht. Die mittlerweile adoptierte – beim Ehepaar aufgewachsene – Tochter beschäftigen regelmäßig derartige Gedanken in Bezug auf ihre leiblichen Eltern. Sowohl das Ehepaar als auch die adoptierte Tochter werden durch diese Situation psychisch massiv belastet, weshalb diese vom Krankenhausträger den Ersatz der Adoptionskosten und Schmerzengeld begehrten.

Der OGH gab der Klage schlussendlich (teilweise) Folge und führte in seiner Begründung aus, dass die Vertauschung und – damit verbunden – das Verschwinden des leiblichen Kindes typischerweise in hohem Maß geeignet sei, zu einer Trauerreaktion bei den Eltern zu führen und dass dasselbe für die durch die Vertauschung ausgelöste Identitätskrise bei dem betroffenen Kind gelte. Eine derartige massive Beeinträchtigung sei mit der Tötung oder schwersten Verletzung eines nahen Angehörigen durchaus vergleichbar, weshalb der Anspruch auf Schmerzengeld bejaht wurde, weil der Krankenhausträger jedenfalls grob fahrlässig gehandelt habe.