Teilweise Haftung eines 10-jährigen für Fahrradunfall

Juni 2015


Nach § 65 Abs 1 Straßenverkehrsordnung (StVO) muss der Lenker eines Fahrrades auf öffentlichen Straßen mindestens 12 Jahre alt sein. Kindern unter 12 Jahren, die das 10. Lebensjahr bereits vollendet haben, ist ein Radfahrausweis auszustellen, wenn anzunehmen ist, dass sie die erforderliche körperliche und geistige Eignung sowie Kenntnisse der straßenpolizeilichen Vorschriften besitzen.

Diese Zulassung als Radfahrer bedeutet aber noch nicht, dass Kinder in diesem Alter im gleichen Maße verantwortlich sind wie Erwachsene. Vielmehr entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH), dass das Verschulden unmündiger Minderjähriger in der Regel milder zu beurteilen ist als unter sonst gleichen Umständen das Verschulden von Erwachsenen.

Grundsätzlich können Kinder erst mit dem Erreichen der Mündigkeit (= Vollendigung des 14. Lebensjahres) selbst schadenersatzpflichtig werden (= Deliktsfähigkeit). Unter bestimmten Voraussetzungen kann jedoch auch Unmündige eine Haftung für einen von ihnen verursachten Schaden treffen (siehe dazu unseren Newsletter-Beitrag von Juli 2014, „Schadenersatzpflicht von Kindern“).

In einer kürzlich entschiedenen Rechtssache hatte der OGH nachfolgenden Sachverhalt zu beurteilen:

Ein 10-jähriger Bub spielte zunächst mit Freunden auf einem Sportplatz Fußball. Da sich einer seiner Freunde eine blutende Knieverletzung zugezogen hatte, fuhr der Bub mit dem Fahrrad des verletzten Freundes los, um dessen Mutter zu verständigen. Nachdem er eine Wohnanlage durchquert hatte, wollte er nach links in eine Hauptstraße einbiegen. Dabei kam es zur Kollision mit einem (bevorrangten) Radfahrer, welcher der Hauptstraße entlang fuhr.

Der OGH hielt zunächst fest, dass die Schadenersatzpflicht Unmündiger unter Berücksichtigung ihrer Einsichtsfähigkeit und der Art ihres Verhaltens im konkreten Einzelfall zu prüfen ist. Weiters führte der OGH aus, dass im vorliegenden Fall nicht unberücksichtigt bleiben kann, dass der Bub durch die Verletzung seines Freundes auf dem Fußballplatz und der Tatsache, dass er dessen Mutter nicht erreichen konnte, aufgeregt und abgelenkt war. Da nach Ansicht des OGH von einem 10-jährigen Buben nicht ohne weiteres verlangt werden kann, dass er in einer psychisch belastenden Situation ruhig und besonnen am Verkehrsgeschehen teilnimmt, erachtete der OGH eine Haftung des Buben für ein Viertel des Schadens für sachgerecht.

Zu dieser Entscheidung ist noch anzumerken, dass zugunsten des Buben keine Haftpflichtversicherung bestanden hat. Dies wurde vom OGH auch berücksichtigt. Hätte zugunsten des Buben eine Haftpflichtversicherung bestanden, wäre der Bub mit Sicherheit zu einer umfangreicheren Haftung verurteilt worden.