Auslegung des Begriffs „unter dem Erdniveau“ in der Leitungswasserversicherung

Versicherungsrecht
March 2023

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin hat ein Hotel, welches ein Obergeschoß (OG), ein Erdgeschoß (EG) und fünf Untergeschoße (UG) aufweist. Im Rahmen von Bauarbeiten wurde die Hauptwasserleitung beschädigt, wobei es zu einem Wasserschaden im fünften UG des Gebäudes kam. In zwei Lagerräume trat Wasser ein und kam es dort zu einem Wasserstand von weniger als 12 cm. In einem dieser Lagerräume befanden sich Waren der Klägerin, welche durch das Wasser beschädigt wurden. Der Klägerin entstand dadurch ein Schaden in der Höhe von € 7.304,-.

Der beklagte Versicherer, mit dem die Klägerin einen Bündelversicherungsvertrag abgeschlossen hatte, der auch das Risiko „Leitungswasserschaden“ umfasst, verweigerte den Ersatz des entstandenen Schadens mit der Begründung, dass die Waren in dem „unter dem Erdniveau“ befindlichen fünften UG nicht entsprechend der vereinbarten „Sicherheitsvorschriften“ gelagert worden waren. Die genannten „Sicherheitsvorschriften“ enthalten die Klausel, dass Waren, die unter Erdniveau aufbewahrt werden, mindestens 12 cm über dem Fußboden gelagert werden müssen. Die Klägerin hatte die beschädigten Waren allerdings in Schachteln gelagert, welche direkt auf dem Fußboden abgestellt worden waren. Dadurch habe sie vertragliche Obliegenheiten verletzt.

Dem entgegnete die Klägerin, dass es sich beim Lagerort nicht um eine unter dem Erdniveau gelegene Räumlichkeit handle, weil das gesamte Hotel in den Hang gebaut sei, sodass die ostseitige Rückseite des Gebäudes eingeschüttet ist. Die dem Hang abgewandte Westseite ist in allen Geschoßen, vom OG bis einschließlich zum fünften UG freistehend. Das Fußbodenniveau des fünften UG ist auf der gesamten Vorderseite über Erdniveau situiert und über die parallel zum Hotel verlaufende Straße zugänglich. Zudem konnte das Wasser durch westseitige Gebäudeöffnungen auch abfließen. Sie sei daher nicht dazu verpflichtet gewesen, besondere Sicherheitsmaßnahmen bei der Lagerung der Waren zu veranlassen. Der Beklagte vertrat die Ansicht, dass das fünfte UG nach der technischen Definition als unter dem Erdniveau liegend anzusehen sei.

Das Erst- und Zweitgericht vertraten unterschiedliche Ansichten über die Auslegung des Begriffs „unter Erdniveau“, sodass der OGH die Auslegung des Begriffs vornahm:

Der OGH stellte zunächst fest, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung auszulegen seien und sich der Maßstab am durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer und unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks der Bestimmung orientiere. Der Zweck der Vertragsklausel liege ersichtlich darin, die höhere Schadensneigung im Rahmen einer Leitungswasserversicherung bei Gegenständen, die in tiefer gelegenen Gebäudeteilen verwahrt werden, zu reduzieren, nachdem sich Waser grundsätzlich den Gesetzen der Schwerkraft folgend in den unteren Bereichen ansammelt und dort nur langsamer oder gar nicht ablaufen kann. Ein Raum sei dann unter Erdniveau, wenn dessen Fußboden niedriger liegt, als das Gelände um das Gebäude; bei gestufter oder unebener Geländeumgebung, wenn er niedriger als die niedrigste Stelle des Geländes liegt. Nachdem im vorliegenden Fall das Fußbodenniveau des fünften UG auf der gesamten Vorderseite über dem Erdniveau liegt und das Wasser im Wege von westseitigen Gebäudeöffnungen ungehindert abfließen konnte, lag keine Obliegenheitsverletzung der Klägerin vor.