Ausschluss der Pflichtteilsminderung bei wechselseitig fehlendem Kontaktinteresse?
Gemäß § 776 Abs 1 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) kann der Pflichtteil auf die Hälfte gemindert werden, wenn der Verstorbene und der Pflichtteilsberechtigte zu keiner Zeit oder zumindest über einen längeren Zeitraum vor dem Tod nicht in einem Naheverhältnis standen, wie es zwischen solchen Familienangehörigen gewöhnlich besteht.
Wie bereits in unserem Newsletter-Beitrag „Pflichtteilsminderung – 20 Jahre als ‚längerer Zeitraum‘“ ausgeführt, geht der Oberste Gerichtshof (OGH) davon aus, dass es für die Verwirklichung eines für die Pflichtteilsminderung erforderlichen „längeren Zeitraumes“ im Regelfall des Verstreichens eines Zeitraumes von mindestens 20 Jahren bedarf, in dem es kein Naheverhältnis gegeben hat.
In einer kürzlich entschiedenen Rechtssache hat der OGH ausgeführt, dass gemäß § 776 Abs 2 ABGB das Recht auf Pflichtteilsminderung nicht zusteht, wenn der Verstorbene den Kontakt grundlos gemieden oder berechtigten Anlass für den fehlenden Kontakt gegeben hat, wobei der Ausschluss der Pflichteilsminderung nach der zitierten Gesetzesbestimmung keinen vorangehenden Kontaktaufnahmeversuch des Pflichtteilsberechtigten voraussetze. Trotz unterbliebenen Kontaktaufnahmeversuchs der klagenden Pflichtteilsberechtigten könnte daher die Pflichtteilsminderung ausgeschlossen sein.
Hat der Erblasser (wie auch der erwachsene Pflichtteilsberechtigte) – wie im vorliegenden Fall – lediglich kein Kontaktinteresse, verhält sich also bloß passiv und bemüht sich schlicht nicht um Kontakt – wobei weder er noch der Pflichtteilsberechtigte dem anderen Anlass bzw. Grund für den fehlenden Kontakt gegeben haben –, stelle dies (noch) kein „Meiden“ des Kontakts iSd § 776 Abs 2 ABGB dar, das zum Ausschluss des Rechts auf Pflichtteilsminderung führt. In einem derartigen Fall sei demnach – bei Vorliegen der Voraussetzungen gemäß § 776 Abs 1 ABGB – eine Pflichtteilsminderung möglich.