Das Recht zur Ausübung der Totenfürsorge richtet sich nach dem tatsächlich bestandenen Naheverhältnis
Das Familiengrab besteht aus zwei Gräbern, welche einen gemeinsamen Grabstein haben. Zuletzt wurde im Jahr 2019 die Mutter der Klägerin beerdigt. Die Erstbeklagte wollte im Jahr 2021 am gesamten Friedhof eine Begradigung zur Verbreiterung des Zufahrtswegs zur Kirche durchführen. Die Zweitbeklagte erklärte sich mit einer Begradigung und damit einhergehenden Verlegung des Familiengrabes einverstanden. Die Zweitbeklagte und der Drittbeklagte beauftragten einen Steinmetzmeister mit der Verlegung des Grabes, der diese Arbeit zwischen April und Sommer 2021 durchführte. Die Grabeinfriedung wurde mitsamt dem Grabstein um ca. 60 cm nach rechts versetzt. Die Beisetzungsstelle der Mutter der Klägerin lag durch diese Veränderung teilweise außerhalb der Steineinfriedung, sodass die Klägerin und ihre Geschwister auf der linken Seite außerhalb der nunmehr steinernen Grabeinfriedung ein Holzkreuz errichteten, Blumen in diesem Bereich einsetzten und dort auch ein Kerzenblech aufstellten.
Die Klägerin begehrte von den Beklagten den Zustand von April 2021 wiederherzustellen. Sie brachte vor, dass sie durch Zahlung der Grabgebühren Mitbenützungsberechtigte des Familiengrabes sei. Die Beklagten hätten gemeinschaftlich in die Würde der Verstorbenen und in das dingliche Nutzungsrecht der Klägerin eingegriffen und seien daher auch gemeinschaftlich verpflichtet, den Zustand der Gräber vor deren Verlegung im Jahr 2021 wiederherzustellen. Die Beklagten bestritten und brachten vor, dass die Zufahrt zur Kirche sowohl für Einsatzfahrzeuge der Feuerwehr als auch der Rettung erschwert sei. 1974 seien deshalb bereits nach einem Brand die Auflassung sowie die Verlegung einiger Gräber beschlossen worden. Nachdem eine Grabstelle rechts vom Familiengrab aufgelassen wurde, sei die Möglichkeit der Verlegung des Doppelgrabes entstanden, und zwar dahingehend, dass das auf der linken Seite in den Zufahrtsweg hineinragende Grab, aufgelassen werden konnte. Zudem habe sich die Zweitbeklagte – welche unbestritten Nutzungsberechtigte der Grabstelle ist – über Ersuchen der Erstbeklagten mit der Verlegung einverstanden erklärt. Durch das Bezahlen der Grabgebühr habe die Klägerin jedenfalls die Nutzungsberechtigung der Zweitbeklagten nicht verdrängt.
Der Oberste Gerichtshof (OGH) wies in seiner Entscheidung zunächst auf die Bestimmung des § 16 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) hin, wonach jeder Mensch angeborene, schon durch die Vernunft einleuchtende Rechte hat und daher als Person zu betrachten ist. Diese Norm anerkennt die Persönlichkeit als Grundwert und schützt in seinem Kernbereich die Menschenwürde. Zu deren Schutz gewährt die Bestimmung absolute, gegenüber jedermann wirkende Persönlichkeitsrechte. Dieser Schutz kann auch nach dem Tod als sogenanntes postmortales Persönlichkeitsrecht fortwirken. Im Fall einer beabsichtigten Umbettung, Exhumierung oder dergleichen ist daher aufgrund des fortwirkenden Persönlichkeitsrechts der ausdrückliche oder hypothetische Wille des Verstorbenen maßgeblich. Soweit ein erkennbarer Wille des Verstorbenen über Art und Ort der Bestattung und dergleichen nicht vorliegt oder aus öffentlich-rechtlichen Gründen undurchführbar ist, treten in das Recht und die Pflicht, über den Leichnam zu bestimmen – ungeachtet der erbrechtlichen Stellung – die nächsten Angehörigen des Verstorbenen.
Die Frage welche Angehörige berechtigt sind, die Art der Ausübung der Totenfürsorge zu bestimmen, richtet sich im einzelnen Fall grundsätzlich nach dem „wirklich bestandenen Naheverhältnis“. Durch die Beisetzung in einem Grab wird sowohl die Frage der Gestaltung des Grabes als auch jene des Grabsteines zu einer gemeinsamen Angelegenheit der jeweiligen nächsten Angehörigen der beigesetzten Personen, deren Bedeutung und Ausformung für beide Beteiligte vom Standpunkt der Pietät, aber auch der gepflogenen Übereinstimmung geprägt ist.
Die Beklagten bestritten nicht, dass die Klägerin als nächste Angehörige ihrer Mutter anzusehen ist, der mangels erkennbarem oder behauptetem Willen der Verstorbenen die Berechtigung zukommt, die Art der Ausübung des Totenfürsorge – gemeinsam mit den anderen nächsten Angehörigen der im Familiengrab beigesetzten Personen – zu bestimmen. Die Beklagten vertraten die Ansicht, dass es sich bei der Verlegung der Einfriedung und Verschiebung des Familiengrabes nach rechts um eine milde Maßnahme handle, welche keine Verletzung der postmortalen Persönlichkeitsrechte darstelle. Der OGH hielt der Ansicht der Beklagten entgegen, dass die in Frage stehende Maßnahme keine bloß „milde“ darstelle. Es sei unstrittig, dass die Versetzung der Einfriedung und des Grabes dazu führte, dass die Beisetzungsstelle der Mutter der Klägerin zumindest teilweise außerhalb der das Familiengrab kennzeichnenden Steineinfriedung liege. Dieser Zustand bewirke, dass sich die Beisetzungsstelle der Verstorbenen außerhalb des Familiengrabes befindet, weshalb es dem schutzwürdigen Interesse der Mutter der Klägerin widerspreche, im Familiengrab beerdigt zu sein und zu bleiben.
Unter Berücksichtigung der Pietät und der Wahrung des Andenkens wurde das Persönlichkeitsrecht der Mutter der Klägerin eklatant verletzt. Die Erstbeklagte sei auch nicht aufgrund der Friedhofsordnung zu diesem Eingriff berechtigt gewesen. Demnach konnte der Argumentation der Erstbeklagten nicht gefolgt werden, welche das Versetzen auf eine „feuerpolizeiliche Notwendigkeit der Begradigung“ stützte, welche bereits seit 1974 bestand. Darüber hinaus hatte die Erstbeklagte selbst vorgebracht, dass es immer nur dann zu einer Begradigung kommen solle, wenn ein Grab verlegt oder aufgelassen wird; dies war aber hinsichtlich des Grabes der Mutter der Klägerin unstrittig nicht der Fall. Das Wiederherstellungsbegehren der Klägerin war daher berechtigt und musste seitens der Beklagten der Zustand von April 2021 wiederhergestellt werden.