Ersatz des Schockschadens eines Dritten bei „qualifizierter Unfallbeteiligung“

Schadenersatzrecht Verkehrsrecht
January 2024

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde: Der Kläger war mit mehreren Freunden auf einer Mopedausfahrt, wobei auch sein langjähriger bester Freund, mit dem ihn eine „beispiellose, äußerst innige und enge Beziehung“ verband, teilnahm.

Wegen eines technischen Problems stellten mehrere Teilnehmer der Gruppe ihre Mopeds neben einer Bundesstraße etwa vier Meter außerhalb der Fahrbahn ab. Der Erstbeklagte geriet mit seinem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten PKW von der Fahrbahn ab und fuhr ungebremst in die Gruppe der Mopedfahrer. Dabei kamen zwei Personen – darunter der beste Freund des Klägers – zu Tode und mehrere weitere wurden schwer verletzt. Der Kläger beobachtete den Unfallhergang aus der Nähe und versuchte noch erste Hilfe zu leisen. Das Miterleben des Unfalls versetzte ihn in einen schockartigen Zustand und er erlitt eine akute Belastungsreaktion, die in eine posttraumatische Belastungsstörung überging. Der Kläger machte Schockschaden geltend und begehrte aufgrund der psychischen Leiden Schmerzengeld.

In der bisherigen Rechtsprechung wurde Schmerzengeld für einen Schockschaden mit Krankheitswert in zwei Fallkonstellationen zuerkannt: einerseits im Fall, dass nahe Angehörige einen Schock mit Krankheitswert erleiden, dadurch in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt werden und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind. Die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung wird dabei nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, die die Erstverletzung verhindern soll, aber aus der bei Verletzung absolut geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung abgeleitet. Die Gefahr einer unzumutbaren Ausweitung der Haftung wird dadurch eingegrenzt, dass es eines besonders starken Zurechnungsgrundes bedarf, also die Verletzungshandlung – im Rahmen einer typisierten Betrachtung – gegenüber dem nahen Angehörigen in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen. Der Schock muss im Hinblick auf seinen Anlass verständlich sein. Für den Zuspruch des Schockschadens an nahe Angehörige ist nicht entscheidend, ob diese den Schock durch das Miterleben des Unfalls oder durch die bloße Nachricht vom Tod oder einer schwersten Verletzung des Angehörigen erleiden (sog. „Fernwirkungsschaden“.) Die zweite Fallkonstellation ist jene, dass ein Dritter unmittelbar am Unfallgeschehen beteiligt war.

Der OGH betonte zunächst, dass ein rein freundschaftliches Verhältnis, mag es auch von besonderer Intensität geprägt sein, in der Rechtsordnung nicht verankert ist und auch nicht zum Vorliegen einer Angehörigeneigenschaft führe. Ein Schockschadenersatz nach der ersten Fallkonstellation konnte im gegenständlichen Fall daher nicht bejaht werden. Hinsichtlich der zweiten Fallkonstellation formulierte der OGH folgenden Rechtssatz:

„Die Zuerkennung eines Schockschadenersatzes an Dritte, die nicht als nahe Angehörige anzusehen sind, bedarf eines der rechtlichen Sonderbeziehung gleichwertigen Zurechnungsgrunds. Ein solcher muss nicht zwingend in der ganz unmittelbaren Involviertheit in das Unfallgeschehen (etwa als Unfallgegner oder Beifahrer) oder in der Gefährdung der eigenen körperlichen Sicherheit des Schockgeschädigten durch den Schädiger liegen. Erforderlich ist aber jedenfalls, dass der Dritte bei gebotener wertungsmäßiger Gesamtbetrachtung der Erstschädigung objektiv in gravierender Weise direkt ausgesetzt war (‚qualifizierte Unfallbeteiligung‘).“

Der Kläger war zwar nicht unmittelbar Unfallbeteiligter und auch nicht in seiner körperlichen Sicherheit gefährdet. Er musste den aufgrund der Mehrzahl an Opfern und Wucht der Kollision besonders schrecklichen Unfall jedoch aus räumlicher Nähe zur Gänze mitansehen und zudem das Versterben seines besten Freundes am Unfallort miterleben. Damit sei bei wertender Betrachtung von einer qualifizierten Beteiligung des Klägers am Unfallgeschehen auszugehen, wobei einem maßgerechten Menschen ex ante auch erkennbar war, dass das Hineinfahren in eine Gruppe von Mopedlenkern typischerweise einen Schockschaden bei einem weiteren Mitglied der Gruppe herbeizuführen geeignet war.