Haftung des Liegenschaftseigentümers für einen verklausten Kanal
Seit 1957 fand keine Überprüfung des Bauzustands des Kanals mehr statt; 2019 kam es zum Einsturz einer Betonplatte was zur Verstopfung des Kanals und gewässerabwärts zum Austrocknen des Bachs führte.
Der Kläger ist Pächter eines Fischereireviers, das gewässerabwärts des Baches liegt und begehrte für die Folgen des Austrocknens (massives Fischsterben) Schadenersatz und brachte vor, dass ein sorgfältiger Liegenschaftseigentümer eine alte und stark beanspruchte Verrohrung eines Baches periodisch kontrolliert hätte. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war das Gewölbe des Kanals akut einsturzgefährdet und nur unter Gefahr begehbar.
Der OGH revidierte das Urteil des Berufungsgerichts, weil dieses von seiner Rechtsprechung zur Bauwerkhaftung nach § 1319 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) abgewichen ist und führte aus wie folgt:
§ 1319 ABGB normiert eine Gefährdungshaftung und stellt auf einen objektiven Sorgfaltsbegriff ab. Von der Haftung kann sich der Besitzer eines Bauwerks durch den Beweis befreien, alle zur Abwehr der Gefahr erforderliche Sorgfalt aufgewendet zu haben. Vom Besitzer sind dabei jene Schutzvorkehrungen zu verlangen, die vernünftigerweise nach der Verkehrsauffassung zu erwarten sind. Die Verletzung der objektiv gebotenen Sorgfaltspflicht setzt aber jedenfalls die Erkennbarkeit oder doch Vorhersehbarkeit der Gefahr voraus.
Der OGH zeigte auf, dass das Berufungsgericht diese Grundsätze zwar erkannt, allerdings unrichtig angewandt hat. Der Umstand, dass die Beklagte als bautechnische Laiin den Mangel des Gewölbes nicht erkennen konnte, halte keiner rechtlichen Prüfung stand. Diese Auffassung würde in letzter Konsequenz nämlich dazu führen, dass in der vorliegenden Konstellation eine Haftung – zumindest bis zum ersten Schadenseintritt – immer ausscheidet, was weder mit § 1319 letzter Halbsatz ABGB noch der Rechtsprechung im Einklang steht. Konnte der Besitzer einen Mangel nicht erkennen und auch nicht voraussehen, ist der Entlastungsbeweis erst dann erbracht, wenn ein Fachmann mit einer gebotenen (periodischen) Überprüfung des Werkes betraut wurde. Ob eine fachmännische Überprüfung geboten ist, richtet sich danach, welche Vorkehrungen und Kontrollen ein sorgfältiger Besitzer getroffen hätte, wobei auch die Größe und die Schwere der drohenden Gefahr zu berücksichtigen sind. Auf jede erdenkliche außergewöhnliche Möglichkeit ist zwar nicht Bedacht zu nehmen. Dem Besitzer ist aber eine der allgemeinen Erfahrung entsprechende Voraussicht drohender Gefahren zumutbar. Die Anforderungen an den Besitzer sind dabei umso höher, je älter, schadensgeneigter oder anfälliger ein Werk für Witterungseinflüsse ist. Eine (regelmäßige) fachmännische Kontrolle ist nach der Rechtsprechung immer dann notwendig, wenn konkrete Anzeichen wie etwa ein schlechter Bauzustand, ein bekannter Mangel oder ähnliche Umstände vorliegen, die ein Baugebrechen vermuten lassen, oder wenn ein Teil des Bauwerks von vornhinein eine beschränkte Lebensdauer hat und daher regelmäßig zu erneuern ist.
Im gegenständlichen Fall war der Kanal bzw. dessen Überbau im Zeitpunkt der Verstopfung fast 90 Jahre alt. Seit mehr als 60 Jahren wurde sein Bauzustand nicht überprüft. Die Beklagte hat weder behauptet, dass sie oder ihr Rechtsvorgänger irgendwelche Erhaltungs- oder Instandhaltungsmaßnahmen gesetzt hätten, obwohl der Kanal der Witterung ausgesetzt ist. Darüber hinaus war auf Fotos klar erkennbar, dass die sichtbaren Teile erkennbar baufällig und sanierungsbedürftig sind. Angesichts dessen komme es nicht darauf an, ob die Möglichkeit eines Absturzes von Teilen der unterirdischen Überdeckung „von außen“ wahrnehmbar ist oder nicht, weil die Beklagte bei dieser Ausgangslage zur Kontrolle auch der nicht einsehbaren Bereiche des Kanals und erforderlichenfalls zu ihrer Instandhaltung verpflichtet gewesen wäre. Das Verhalten der Beklagten entspreche daher nicht dem, das von einem sorgfältig agierenden Besitzer erwartet werden kann. Der OGH hielt fest, dass der Beklagten der Entlastungsbeweis nicht gelungen ist, weshalb das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wurde.