Kronzeugenstatus und Baukartell
Der OGH hat als Kartellgericht in seiner Entscheidung ausgeführt, dass neben dem Bundeskartellanwalt die BWB als Amtspartei gesetzlich dazu verpflichtet ist, den funktionierenden Wettbewerb sicherzustellen und das öffentliche Interesse in Angelegenheiten des Wettbewerbsrechts zu vertreten. Werden durch eine kartellgerichtliche Entscheidung öffentliche Interessen in Angelegenheiten des Wettbewerbsrechts berührt, sind die Amtsparteien daher grundsätzlich befugt, diese Entscheidung mit Rekurs zu bekämpfen, sofern ihnen nicht ausnahmsweise das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
Beim kartellrechtlichen Geldbußverfahren handelt es sich um ein auf Antrag eingeleitetes Verfahren, sodass grundsätzlich ein Abweichen der gerichtlichen Entscheidung vom Antrag möglich ist, allerdings nur durch Verhängung einer geringeren als der beantragten Geldbuße. Wenn die BWB eine Geldbuße in einer bestimmten Höhe beantragt, hat sie dies nach § 36 Abs 1a letzter Satz KartG zu begründen. Die Entscheidung der BWB, eine angemessene Geldbuße oder eine solche in bestimmter Höhe zu beantragen, sowie gegebenenfalls die Höhe der beantragten Geldbuße, hängen von den Ergebnissen des von der BWB geführten Verwaltungsverfahren ab. Dazu gehört auch die Entscheidung, Unternehmer oder Unternehmervereinigungen als Kronzeugen zu behandeln.
Die Regelungen betreffend Kronzeugen sind in § 11 b WettbG normiert. Die BWB kann unter den dort normierten Voraussetzungen davon Abstand nehmen, die Verhängung einer Geldbuße gegen ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung zu beantragen, oder eine geminderte Geldbuße beantragen. Dafür müssen der Behörde Informationen vorgelegt werden, die gegenüber den bereits in ihrem Besitz befindlichen Informationen und Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert darstellen, wobei bei der Bestimmung des Umfangs der jeweiligen Reduktion auf den Zeitpunkt der Abgabe der zusätzlichen Informationen und Beweismittel sowie das Ausmaß des Mehrwertes gegenüber der bereits bekannten Information abzustellen ist. § 11 b WettbG verlangt darüber hinaus, dass der Unternehmer/die Unternehmervereinigung „wahrheitsgemäß, uneingeschränkt“ und zügig mit der Bundeswettbewerbsbehörde zwecks vollständiger Aufklärung des Sachverhalts zusammenarbeitet sowie sämtliche Beweismittel für die vermutete Zuwiderhandlung, die sich in seinem/ihrem Besitz befindet oder auf welche er/sie Zugriff hat, vorlegt.
Der OGH stellte fest, dass angesichts des vorliegenden Sachverhalts die formelle Beschwer der BWB vorliege. Die neuen Tatsachen waren bereits im vorangegangenen Verfahren vorhanden und erscheinen jedenfalls abstrakt geeignet, eine Verletzung der Kooperationspflicht gemäß § 11 Abs 1 Z 2 WettbG zu belegen. Entgegen den Behauptungen der Antragsgegnerin werde die Effektivität des Kronzeugenprogramms bei Zulassung des vorliegenden Abänderungsantrags nicht beeinträchtigt. Es könne der Effektivität des Kronzeugenprogramms nicht dienen, Unternehmer, denen aufgrund wissentlichen Verschweigens von Kartellrechtsvertößen der Kronzeugenstatuts zuerkannt wurde, vor der Verhängung angemessener Geldbußen zu schützen, wenn sich nachträglich ergibt, dass die BWB davon unverschuldet keine Kenntnis hatte. Der Abänderungsantrag der BWB sei daher zu prüfen und wurde die Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.