Schmerzengeld ohne Schmerzen?
Gemäß § 1325 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) hat der Geschädigte bei einer Körperverletzung gegenüber dem Schädiger Anspruch auf Schadenersatz. Neben dem Ersatz der Heilungskosten und des entgangenen Gewinnes bzw. des Verdienstentganges hat der Verletzte auch Anspruch auf ein angemessenes Schmerzengeld.
Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde:
Der Kläger erlitt im Jahre 2005 eine vollständige Querschnittslähmung aufgrund eines Verkehrsunfalles. In dem diesbezüglich geführten Verfahren wurde das Alleinverschulden des Unfallgegners sowie dessen Haftung für künftige Schäden festgestellt und dem Kläger ein Schmerzengeld von € 150.000,00 zugesprochen.
Der Kläger ist seit dem Unfall an einen Rollstuhl gebunden, welcher über eine elektrische Unterstützung verfügt, wobei sich der Kläger teilweise von Personen schieben lässt. Beim Verwenden des Rollstuhles wird kein Personenrückhaltesystem, mit welchem der Oberkörper im Rollstuhl fixiert werden würde, verwendet, zumal der Kläger aufgrund eines Dekubitus im Gesäßbereich angehalten ist, seine Sitzposition regelmäßig zu verlagern. In den Jahren 2016 und 2017 kam es zu Unfällen mit dem Rollstuhl, wobei zumindest ein Rad des Rollstuhles blockierte, der Rollstuhl nach vorne kippte und der Kläger aus dem Rollstuhl fiel. Im Zuge dieser Unfälle zog sich der Kläger eine Ellenbogenprellung sowie einen Bruch des rechten Oberschenkelknochens zu, wobei er die Verletzung am Oberschenkel aufgrund der Querschnittslähmung nicht spürte.
Der Kläger begehrt von dem für den seinerzeitigen Unfall im Jahr 2005 haftenden Versicherungsverband ein weiteres Schmerzengeld in Höhe von € 20.000,00.
Das Erstgericht sprach dem Kläger € 2.000,00 an Schmerzengeld zu. Das Berufungsgericht erhöhte dieses auf den Betrag von € 8.000,00, wobei es bei dem Oberschenkelbruch von einem Mitverschulden von 1/4 des Klägers ausging, da dieser keinen Rückhaltegurt verwendete und nach Ansicht des Berufungsgerichtes aufgrund des vorherigen Sturzes von der erhöhten Gefahr eines neuerlichen Sturzes auf verschmutztem Untergrund ausgehen hätte müssen.
Der OGH bestätigte zunächst die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass die beiden Unfälle im Jahr 2016 und 2017 adäquate Folgen des Verkehrsunfalles aus dem Jahr 2005 sind, für welche der einstige Schädiger einzustehen hat.
Zudem führt der OGH aus, dass die Straßenverkehrsordnung (StVO) Rollstühle vom Fahrzeugbegriff ausnehme, weshalb die im Kraftfahrgesetz (KFG) geregelte Gurtenpflicht auf Benutzer von Rollstühlen nicht anzuwenden sei. Ob sich unter Rollstuhlfahrern ein allgemeines Bewusstsein, Rückhaltegurte zu verwenden – allenfalls bei der Verwendung elektrisch unterstützter Rollstühle – entwickelt hat, stehe nach Meinung des OGH nicht fest und sei dies jedenfalls nicht als offenkundig anzusehen. Hinzu komme, dass der Kläger bei der Verwendung eines Rückhaltegurtes seine Sitzposition nicht mehr verlagern könnte, obwohl dies aus medizinischer Sicht notwendig ist, und der Kläger daher von der gesetzlichen Gurtenpflicht in Kraftfahrzeugen sogar möglicherweise ausgenommen wäre. Daher könne dem Kläger kein Mitverschulden angelastet werden, sodass diesem der ungekürzte Schmerzengeldanspruch zustehe.
Abschließend hält der OGH fest, dass Schmerzengeld auch dem gebühre, der durch eine haftungsbegründende Einwirkung auf seine Persönlichkeitsstruktur außerstande gesetzt wird, Schmerz und Leid im Gegensatz zu Wohlbefinden und Freude zu empfinden und damit elementarster menschlicher Empfunden beraubt wird, es sei denn, dass die Einschränkung des Schmerzempfindens bereits vor der Schadenszufügung durch den Schädiger bestanden hat. Insgesamt erachtete der OGH ein Schmerzengeld in Höhe von € 12.000,00 für angemessen.