Sorgfaltspflichten eines Hundehalters beim Ableinen
§ 1320 Satz 1 ABGB sieht vor, dass in Fällen, in denen ein Tier einen Schaden zufügt, derjenige haftet, der es angetrieben, gereizt oder unzureichend verwahrt hat. Neben dieser Verschuldenshaftung normiert § 1320 Satz 2 ABGB die Haftung desjenigen, der das Tier hält, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat. Im Ergebnis normiert sohin § 1320 Satz 2 ABGB eine Beweislastumkehr zu Lasten des Tierhalters in Bezug auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens: er muss beweisen, dass er für die im Einzelfall objektiv gebotene Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt hat. Sollte dem Tierhalter dieser Beweis nicht gelingen, so haftet er auch bei fehlendem Verschulden. Die Beurteilung des Ausmaßes dieser vom Tierhalter einzuhaltenden Sorgfalts-pflichten für Verwahrung und Beaufsichtigung hängt immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Der Oberste Gerichtshof (OGH) kann somit nur mit dieser Frage befasst werden, sofern dem Berufungsgericht als Vorinstanz eine grobe Fehlbeurteilung unterlaufen ist, die das Höchstgericht im Interesse der Rechtssicherheit zu korrigieren hat.
Einer kürzlich vom OGH entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin ging mit ihrem Hund auf einem an das Ortsgebiet angrenzenden Feld spazieren, als der nicht an der Leine geführte Hund des Beklagten die Klägerin ansprang. Laut Ausführungen der Klägerin habe der Beklagte seinen Hund trotz Kenntnis ihrer Anwesenheit und der Anwesenheit ihres Hundes nicht an der Leine geführt. In Folge dessen gerieten die Tiere in einem Gerangel aneinander, woraufhin die Klägerin durch einen der Hunde angestoßen wurde und in Folge eines dadurch bewirkten Schrittes umknickte und sich verletzte. Die Klägerin begehrte auf der Grundlage der Tierhalterhaftung nach § 1320 Satz 2 ABGB Schadenersatz vom Beklagten.
Diesem Schadenersatzanspruch gab das Erst- und Berufungsgericht statt. Als Argument wurde angeführt, dass sich der Beklagte vor dem Ableinen des Hundes nicht damit befasst habe, ob sich in seiner unmittelbaren Nähe andere Hunde befinden könnten. Zwar gebe es keine allgemeine Leinenpflicht, jedoch dürfen Hunde auch in ländlicher Umgebung nicht stets frei herumlaufen. Da der Beklagte keinen Entlastungsbeweis erbrachte, wie er trotz abgeleinten Hundes seine Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflichten als Tierhalter erfüllen konnte, musste im Ergebnis das abgeleinte Führen des Hundes in unmittelbarer Nähe zu einem anderen Hund und ohne sich zu vergewissern, ob sich in seiner Nähe ein anderer Hund aufhält, als Unterlassung der gebotenen Verwahrung und Beaufsichtigung eingestuft werden. Unabhängig davon, ob dem Beklagten ein Verschulden trifft oder nicht, gebührt somit der Klägerin ein Schadenersatzanspruch. Diese Rechtsansicht der Vorinstanzen wurde vom Höchstgericht bestätigt und vor allem hervorgehoben, dass sich die Begründung der Vorinstanzen jedenfalls im Rahmen des vom Gesetz und der Rechtsprechung eingeräumten Beurteilungsspielraums zum Ausmaß der Sorgfaltspflichten eines Tierhalters hält. Als Fazit kann somit festgehalten werden, dass den Tierhalter immer eine erhöhte Sorgfaltspflicht trifft, wenn er seinen Hund ableint, zumal sich daraus eine Gefährdung anderer Personen ergeben könnte, selbst wenn es keine generelle Leinenpflicht gibt.