Verletzung eines Beamten während einer Festnahme

Schadenersatzrecht Allgemeines Zivilrecht
February 2024

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde: Der Beklagte war nach einer Selbstverletzung im Krankenhaus verarztet worden, wo man ihn auf die psychiatrische Abteilung verlegen wollte. Allerdings verließ er das Krankenhaus und verständigten die Ärzte deshalb wegen Gefahr der Selbstgefährdung die Polizei, die den Beklagten dem Amtsarzt vorführen sollte, um eine Unterbringung nach dem Unterbringungsgesetz (UbG) zu veranlassen.

Der Beklagte wurde in weiterer Folge von vier Beamten verfolgt, bis dieser sich am Bahnhof mit dem Rücken an eine Wand stellte und beide Hände auf den Rücken legte, um so zu verhindern, dass ihm Handfesseln angelegt werden. Die Beamten teilten ihm mehrmals mit, dass er festgenommen sei und mitkommen müsse, allerdings zeigte er darauf keine Reaktion, sondern verharrte in seiner Position. Der Kläger und ein weiterer Beamter beschlossen daraufhin, die sogenannte Armwinkelsperre beim Beklagten anzusetzen. Sie stellten sich links und rechts neben den Beklagten, erfassten jeweils mit einer Hand eine Hand des Beklagten unter der Schulter und drehten diese auf den Rücken. Aufgrund der Schmerzen beugte sich der Beklagte sodann nach vorne, bis er zu Boden stürzte. Um den Sturz abzufangen und zu verhindern, dass sich der Beklagte verletzt, ergriffen ihn beide Beamte mit der jeweils freien Hand im Bereich der Schultern vorne. Dabei wurde die rechte Hand des Klägers zwischen der Brust des Beklagten und dem Asphalt eingeklemmt und erlitt er daraufhin Abschürfungen und eine Prellung/Zerrung des rechten Handgelenks.

Der Kläger begehrte € 6.057,38 an Schmerzengeld, Verdienstentgang, Kosten einer Haushaltshilfe, Fahrtkosten und pauschalen Unkosten und brachte vor, dass sich der Beklagte rechtswidrig und schuldhaft einer Festnahme widersetzt habe. Hätte der Beklagte sich rechtmäßig verhalten und die Festnahme zugelassen, wäre der Einsatz von Körperkraft nicht notwendig gewesen. Der Beklagte brachte hingegen vor, dass es unverhältnismäßig gewesen sei, ihn zu Boden zu werfen und ihm Handfesseln anzulegen. Er habe keinen Widerstand geleistet, weder rechtswidrig noch schuldhaft gehandelt und sei für die Verletzung des Klägers nicht verantwortlich.

In seiner rechtlichen Beurteilung hielt der OGH zunächst fest, dass die Gefährdung absolut geschützter Rechte – zu denen auch das Recht auf körperliche Unversehrtheit gehört – grundsätzlich verboten ist. Daraus ergeben sich Sorgfaltspflichten, die denjenigen treffen, der die Gefahr erkennen und die erforderlichen Schutzmaßnahmen ergreifen kann, also jenen, der die Gefahr beherrscht. Die Rechtswidrigkeit eines schädigenden Verhaltens wird bei der Verletzung absolut geschützter Rechte im Wege einer umfassenden Interessenabwägung geprüft, bei der insbesondere zu berücksichtigen ist, welche Verhaltenspflichten die Beteiligten erfüllen können bzw. ihnen zumutbar sind, ob das in Frage stehende Verhalten ex ante geeignet war, den schädigenden Erfolg (wahrscheinlich) herbeizuführen, sowie welcher Wert den bedrohten Rechtsgütern und Interessen zukommt. Weiters betonte das Höchstgericht, dass stets die Umstände des Einzelfalls entscheiden, in welche Richtung die Interessenabwägung ausfällt.

Gemäß § 9 Abs. 1 UbG sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes berechtigt und verpflichtet, eine Person, bei der sie aus besonderen Gründen die Voraussetzungen der Unterbringung für gegeben erachten, zur Untersuchung zum Arzt zu bringen oder diesen beizuziehen. Bescheinigt der Arzt das Vorliegen der Voraussetzungen der Unterbringung, so haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die betroffene Person in eine psychiatrische Abteilung zu bringen oder dies zu veranlassen. Der Arzt und die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben gemäß § 9 Abs. 3 UbG unter möglichster Schonung der betroffenen Person vorzugehen und die notwendigen Vorkehrungen zur Abwehr von Gefahren zu treffen. In den Materialen zu dem UbG findet sich der ausdrückliche Hinweis darauf, „dass bei der Ausübung unmittelbarer Zwangsgewalt auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders Bedacht zu nehmen ist. Die konkrete Maßnahme muss geeignet und unbedingt notwendig sein und es darf nur das gelindeste zum Ziel führende Mittel angewendet werden.“

Selbst wenn man davon ausgehen würde, dass die vom Kläger und seinen Kollegen gewählte Vorgangsweise der Festnahme durch Anlegen von Handfesseln auf dem Rücken des Beklagten nach den Umständen des Falls das gelindeste zum Ziel führende Mittel im Sinne des § 9 Abs. 3 UbG war, habe es, so der OGH, im konkreten Fall an der Schaffung einer gesteigerten Gefahrensituation durch den Beklagten die deutlich über das allgemeine Berufsrisiko eines Polizisten hinausging, gefehlt. Nach der ständigen Rechtsprechung begründet nicht einmal jede Flucht eines einer Straftat Verdächtigen per se eine Haftung für Schäden, sondern nur eine solche, die für den Flüchtenden erkennbar mit einer gesteigerten Gefährdung der absolut geschützten Rechtsgüter des Verfolgers verbunden ist. Im gegenständlichen Fall hatte der Beklagte seine Flucht beendet und gegenüber den Beamten weder Gewalt ausgeübt noch solche angedroht. Der Kläger verletzte sich nicht, weil der Beklagte eine gesteigerte Gefahrensituation geschaffen hat, sondern weil der Beklagte, infolge der vom Kläger und seinem Kollegen vorgenommenen Armwinkelsperre stürzte und der Kläger versuchte, ihn vor dem Aufprall auf dem Boden aufzufangen. Der OGH erachtete daher die vom Berufungsgericht angenommene Verneinung der Haftung des Beklagten als keine korrekturbedürftige Einzelfallentscheidung.