Amtshaftung bei Mordversuch im Gefängnis

Schadenersatzrecht
Juni 2023

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger wurde von einem Mithäftling im Schlaf mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. Der Täter wurde wegen versuchten Mordes verurteilt. Der Kläger begehrte mit einer Amtshaftungsklage Schmerzengeld sowie die Feststellung der Haftung der beklagten Republik für künftige Schäden aus seiner Verletzung. Er brachte vor, dass die Justizwacheorgane die erforderlichen Maßnahmen unterlassen hätten um ihn vor einem Angriff zu schützen.

Vor dem Mordversuch hatte der Kläger bereits mehrmals mündlich und schriftlich um die Verlegung in einen anderen Haftraum angesucht, weil er von seinen beiden Mithäftlingen aufgrund der von ihm angefangenen Lehre und der damit verbundenen Lerntätigkeit immer wieder schikaniert worden war und er körperliche Übergriffe befürchtete. Zudem kam es zwischen ihm und den beiden Mithäftlingen wegen der unterschiedlichen Herkunft und Religionszugehörigkeit zu Spannungen. Ein paar Tage vor dem tätlichen Angriff auf den Kläger hatte der Täter bereits einen Küchenhammer mit in die Zelle geschmuggelt und konnte nur durch Eingreifen des Klägers eine Verletzung des dritten Mithäftlings verhindert werden. Der Kläger vertraute sich einem Justizwachebeamten an, meldete den Vorfall aus Angst vor den Mithäftlingen jedoch nicht formell. Eine Kontrolle des Haftraums unterblieb, weil der Hammer später wieder in der Küche gefunden wurde. Die Beklagte bestritt die Verletzung von Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber dem Kläger. Seine Gefährdung sei nicht erkennbar gewesen und Spannungen zwischen Mithäftlingen seien systemimmanent und nicht zu verhindern.

Der Oberste Gerichtshof (OGH) führte in der Sache aus, dass Unterlassungen von Organen eines Rechtsträgers rechtswidrig sind, wenn eine Handlungspflicht bestand und pflichtgemäßes Handeln den Schaden verhindert hätte. Voraussetzung für eine Amtshaftung sei, dass amtswegige Maßnahmen vorzunehmen gewesen wären, die schuldhaft nicht gesetzt wurden. Es komme dabei nicht darauf an, ob das Organverhalten richtig, sondern nur ob es rechtlich vertretbar war.

Strafbare Handlungen unter Strafgefangenen seien keinesfalls hinzunehmen, sondern treffen den Bund vielmehr diesen gegenüber Schutz- und Fürsorgepflichten. Im Einzelfall hängen die erforderlichen Schutzmaßnahmen davon ab, inwieweit eine konkrete Gefahr erkennbar war und mit zumutbaren Maßnahmen abgewendet werden hätte können. Maßgeblich für das Entstehen einer Handlungspflicht sei die Erkennbarkeit einer naheliegenden und voraussehbaren Gefahr. § 103 Strafvollzugsgesetz (StVG) normiert, dass gegenüber Strafgefangenen von denen Gefahr von Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen ausgeht, die erforderlichen besonderen Sicherheitsmaßnahmen anzuordnen sind. Darunter fällt zum Beispiel eine häufigere Durchsuchung des Haftraums oder die Verlegung in einen Einzelhaftraum. § 102 Abs. 1 Satz 2 StVG sieht zudem vor, dass „darüber zu wachen“ ist, dass sich Strafgefangene so verhalten, „wie es in diesem Bundesgesetz angeordnet“ ist. Damit wird nicht nur eine Überwachungspflicht angesprochen, sondern es ergibt sich daraus auch die Verpflichtung, Verhaltensverstößen von Strafgefangenen entgegenzuwirken.

Den Justizwachbeamten war bekannt, dass es zwischen den drei Mithäftlingen zu Auseinandersetzungen kommt und Spannungen wegen der unterschiedlichen Herkunft und Religionszugehörigkeit sowie der Ausbildung des Klägers bestanden. Der Kläger hatte mehrfach ersucht, in einen anderen Haftraum verlegt zu werden. Wenngleich „Spannungen“ zwischen Häftlingen nie ganz verhindert werden können, wäre zu erwarten gewesen, dass die Organe der Beklagten auf die Auseinandersetzungen des Klägers und seinen Mithäftlingen mit angemessenen Mitteln reagieren. Spätestens nach dem versuchten Angriff des Täters auf den zweiten Mithäftling mit dem Hammer wäre ein Einschreiten der Justizwachebeamten zu erwarten gewesen. Dass die Organe der Beklagten nach dem Angriff des Täters auf den Mithäftling untätig blieben und keine Maßnahmen zum Schutz des erkennbar gefährdeten Klägers trafen, kann nicht mehr als vertretbar angesehen werden. Eine formelle Meldung des Vorfalls durch den Kläger bedurfte es hierfür nicht.