Anscheinsvollmacht eines Versicherungsreferenten
Im Recht der Stellvertretung kann es unter Umständen dazu kommen, dass Personen zur Vertretung anderer berechtigt sind, obwohl ihnen keine diesbezügliche Vollmacht erteilt wurde. Dies ist beispielsweise bei der sogenannten Anscheinsvollmacht der Fall. Eine Anscheinsvollmacht liegt vor, wenn aus dem Verhalten des Vertretenen selbst abgeleitet werden kann, er habe dem Handelnden Vollmacht erteilt. Der die Vertretungsmacht begründende Anschein hat nicht vom Vertreter, sondern von einem Verhalten des Vertretenen bzw. eines vertretungsbefugten Organs auszugehen.
Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zugrunde:
Die Beklagte ist Haftpflichtversicherung einer Generalunternehmerin eines Bauvorhabens, einer ARGE. Der Kläger wurde durch eine der Versicherungsnehmerin der Beklagten zurechenbare Person schwer verletzt; aus der Verletzung resultieren Spät- und Dauerfolgen.
Der Klagevertreter verlangte von der Beklagten eine schriftliche Erklärung, dass die Beklagte die Haftung für etwaige Spät- und Dauerfolgen des Klägers aus dem Unfall übernehme.
Ein neuer Schadensreferent der Beklagten, der lediglich berechtigt war, im Namen der Versicherungsnehmer gegenüber den Geschädigten, nicht jedoch für die Beklagte (das Versicherungsunternehmen) Anerkenntnisse abzugeben, gab daraufhin eine Erklärung ab, in der er die Ansprüche des Klägers im Wesentlichen anerkannte.
Der OGH sprach zunächst aus, dass der Schadensreferent der Beklagten, der das als Anerkenntnis zu wertende Schreiben verfasst hatte, nach den Feststellungen berechtigt war, Anerkenntnisse im Namen des Versicherungsnehmers gegenüber den Geschädigten abzugeben. Es sei für den Geschädigten nicht erkennbar gewesen, dass der Schadensreferent von der Beklagten zwar bevollmächtigt war, in ihrem Namen, aber bloß den Versicherungsnehmer betreffend, handeln zu dürfen, nicht jedoch auch für sie. Setze der Versicherer einen Schadensreferenten zur Abwicklung eines Versicherungsfalls ein, so habe er damit - wenn nichts anderes zu erkennen ist - gegenüber dem Versicherungsnehmer oder Dritten den Anschein erweckt, dass der Schadensreferent zur Abgabe von den Schadensfall betreffenden Erklärungen im Namen des Versicherers bevollmächtigt ist, sei es aufgrund einer Vollmacht zur selbständigen Entscheidung, sei es nach Abschluss der internen Willensbildung der Entscheidungsträger. Indem sie sich des Schadensreferenten zur Abwicklung und Kommunikation nach Außen bediente, habe die Beklagte daher den Anschein geweckt, die Erklärung des Schadensreferenten sei von ihrer Vollmacht gedeckt. Die Beklagte musste daher das Anerkenntnis gegen sich gelten lassen.