Begehung im Familienkreis § 166 StGB und Erbunwürdigkeit § 539 ABGB

Erbrecht
März 2024

Die Klägerin war die Verlassenschaft nach der Lebensgefährtin des 2020 verstorbenen Erblassers. Der Erblasser setzte seine Kinder aus einer früheren Ehe, die Beklagten, 2012 testamentarisch je zur Hälfte zu Erben ein, wobei er ihnen sein „gesamtes, wo immer befindliches und wie immer bezeichnetes, bewegliches und unbewegliches Vermögen“ hinterließ.

Seiner Lebensgefährtin vermachte er die Liegenschaftsanteile verbunden mit Wohnungseigentum an der zuletzt gemeinsam bewohnten Wohnung mitsamt dem gesamten Wohnungsinhalt und einem Kontoguthaben. Die Lebensgefährtin meldete ihre Vermächtnisansprüche im Verlassenschaftsverfahren nach dem Erblasser an und löste in weiterer Folge – mit dem Vorsatz sich an der Verlassenschaft unrechtmäßig zu bereichern – einen 2017 gemeinsam mit dem Erblasser abgeschlossenen Safevertrag für ein Bankschließfach auf, obwohl sie wusste, dass sich ein Großteil dieser Sachen mit einem Wert von € 22.987.- zum Zeitpunkt des Ablebens im Eigentum des Erblassers befunden hatte und somit den Erben zustehen würden. Ihrem Rechtsvertreter gegenüber gab sie wahrheitswidrig an, dass der Erblasser ihr die Wertgegenstände noch zu Lebzeiten geschenkt habe. Die Lebensgefährtin verstarb am 25.01.2021; die Ansprüche aus dem Vermächtnis wurden bis zu ihrem Tod nicht erfüllt. Die Erben stützten sich auf den Standpunkt, dass das Verhalten der Klägerin nach § 539 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) zu Legatsunwürdigkeit geführt habe.

Nach § 539 ABGB ist erbunwürdig und damit auch legatsunwürdig, wer gegen den Verstorbenen oder gegen die Verlassenschaft eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Der OGH nahm daher zunächst eine strafrechtliche Einordnung des Sachverhalts vor: Nachdem die Klägerin und der Erblasser zu Lebzeiten Mitgewahrsam an den Wertgegenständen im gemeinsamen Bankschließfach hatten, habe der Tod des Erblassers zum Alleingewahrsam der Klägerin an diesen Gegenständen geführt. Die Klägerin hat Alleingewahrsam ohne ihr Zutun erlangt und erfüllt die Zueignung der Wertgegenstände mit einem gegen die Verlassenschaft gerichteten Bereicherungsvorsatz das Tatbild der Unterschlagung nach § 134 Abs. 1 dritter Fall, Abs. 3 erster Fall Strafgesetzbuch (StGB) mit einer Strafdrohung bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Der für die Wertqualifikation erforderliche Vorsatz auf das Übersteigen der Wertgrenze lasse sich der Gesamtheit der Feststellungen zum Inhalt des Safes und Wert der darin befindlichen Gegenstände ableiten. Aus strafrechtlicher Sicht hat die Klägerin eine qualifizierte Unterschlagung nach § 134 Abs. 1 dritter Fall, Abs. 3 erster Fall StGB zu Lasten der Verlassenschaft begangen.

In weiterer Folge befasste sich der OGH mit der Frage, ob das in § 166 StGB verankerte Angehörigenprivileg im gegenständlichen Fall Anwendung findet. Nach § 166 StGB verringert sich die Strafdrohung unter anderem bei Unterschlagung, wenn sie zum Nachteil von Verwandten in gerader Linie und anderen nahen Verwandten wie auch Lebensgefährten begangen werden, auf zwei bzw. sechs Monate. Die Anwendbarkeit von § 166 StGB führt dazu, dass die für die Erbunwürdigkeit erforderliche Strafdrohung von einem Jahr nicht erreicht wird. Die Herabsetzung der Strafdrohung führt also zu einer materiell-rechtlichen Besserstellung des Täters.

Die strafrechtliche Judikatur hatte bisher das Handeln zum Nachteil des Nachlasses nach einem Angehörigen als nicht von der Privilegierung des § 166 StGB umfasst angesehen. Der OGH schloss sich im gegenständlichen Fall jedoch der Ansicht der Klägerin an, wonach die Fortschreibung der bisherigen Judikatur zu einem Wertungswiderspruch führen würde, nachdem es Konstellationen gibt in denen Vermögensdelikte gegen einen noch lebenden nahen Angehörigen aufgrund § 166 StGB keine erbrechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen, das selbe Vermögensdelikt gegen die Verlassenschaft nach dem verstorbenen Angehörigen allerdings zu Erbunwürdigkeit führen würde.

Das Höchstgericht hielt daher fest, dass im Fall der Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegen die Verlassenschaft, § 539 ABGB zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen teleologisch zu reduzieren ist, sodass Erbunwürdigkeit nur eintritt, wenn auch die Tatbegehung zum unmittelbaren Nachteil des Erblassers unter Beachtung des § 166 StGB zu Erbunwürdigkeit führen würde. Da im gegenständlichen Fall eine Tatbegehung durch die Klägerin zum unmittelbaren Nachteil des Erblassers aufgrund Anwendbarkeit von § 166 StGB nicht zu ihrer Erbunwürdigkeit geführt hätte, trat durch das von ihr gegen die Verlassenschaft begangene Delikt keine Erbunwürdigkeit bzw. Legatsunwürdigkeit ein.