Beginn der Berufungsfrist bei unzulässig gekürzter Urteilsausfertigung

Allgemeines Zivilrecht
Oktober 2023

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde: In der Tagsatzung vom 26.1.2022 verkündete der Erstrichter das klageabweisende Urteil. Der Klagevertreter meldete unmittelbar nach der Verkündung Berufung an. Am 25.3.2022 erhielten die Parteien eine gekürzte Urteilsausfertigung.

Am 31.3.2022 fasste das Erstgericht dann den Beschluss, dass die gekürzte Urteilsausfertigung vom 26.1.2022 gegenüber den Parteien unwirksam sei, da eine gekürzte Urteilsausfertigung nur dann zulässig ist, wenn keine der Verfahrensparteien fristgerecht eine Berufung anmeldet. Die Zustellung der gekürzten Urteilsausfertigung sei irrtümlich erfolgt, weil die Berufungsanmeldung des Klagevertreters unmittelbar nach Verkündung des Urteils übersehen worden sei. Dieser Beschluss wurde beiden Parteien am 5.4.2022 zugestellt und das mit voller Begründung ausgefertigte Urteil des Erstgerichts wurde sodann am 1.6.2022 zugestellt.

Der Kläger erhob daraufhin Berufung, welche am 28.6.2022 beim Erstgericht einlangte. Das Berufungsgericht wies die Berufung mit Beschluss ab und führte aus, dass eine gekürzte Urteilsausfertigung nach § 417a Zivilprozessordnung (ZPO) bei rechtzeitiger Berufungsanmeldung zwar unzulässig sei, die vierwöchige Berufungsfrist aber dennoch mit Zustellung der gekürzten Urteilsausfertigung zu laufen begonnen und daher bereits Ende April 2022 geendet habe. Es handle sich bei der gekürzten Urteilsausfertigung nicht um ein sogenanntes Nichturteil, sondern höchstens um ein fehlerhaftes Urteil, gegen welches die allgemeinen Berufungsgründe erhoben werden können. Die am 28.6.2022 vom Kläger eingebrachte Berufung sei daher verspätet. Der Kläger erhob gegen den Beschluss des Berufungsgerichts Rekurs, welchen der OGH als zulässig und berechtigt erachtete.

Der OGH hielt fest, dass auch eine gekürzte Urteilsausfertigung nach § 417a ZPO nach mündlicher Verkündung des Urteils ein Urteil mit allen Rechtskraftwirkungen darstelle. Dies gelte auch dann, wenn die gekürzte Urteilsausfertigung unzulässig war. Demnach komme die Ausfertigung eines ungekürzten, den Inhaltserfordernissen des § 417 ZPO entsprechenden Urteils zusätzlich zur gekürzten Urteilsausfertigung nicht in Betracht, selbst wenn gleichzeitig mit der Berufung auch deren Anmeldung vorgenommen worden wäre. Der Rechtsansicht des Berufungsgerichts sei daher insofern zu folgen, als dass auch die Zustellung einer unzulässig gekürzten Urteilsausfertigung die vierwöchige Berufungsfrist auslöst.

Im gegenständlichen Fall sei jedoch zu berücksichtigen, dass das Erstgericht innerhalb der vierwöchigen Berufungsfrist mit dem Beschluss vom 31.3.2022 seinen Fehler erkannte und die gekürzte Urteilsausfertigung für unwirksam erklärte. Es gäbe zwar keine Rechtsgrundlage für einen solchen Beschluss, dennoch sei der Entscheidungswille des Erstgerichts eindeutig. Der Beschluss vom 31.3.2022 habe daher die Wirksamkeit der Zustellung der gekürzten Urteilsausfertigung beseitigt, sodass die vierwöchige Berufungsfrist mit der Zustellung der ungekürzten Urteilsausfertigung am 1.6.2022 begann und die vom Kläger am 28.6.2022 eingebrachte Berufung – entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts – rechtzeitig war.