Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen bei Auslandsentsendung

Arbeitsrecht Allgemeines Zivilrecht
April 2025

Die Beurteilung der Frage, ob die von einem in die USA entsandten Arbeitnehmer erzielten Einkünften der unbeschränkten Steuerpflicht in Österreich unterliegen, bestimmt sich nach dem zwischen Österreich und den USA abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen (DBA). Art 4 Abs 1 DBA USA normiert hierzu vergleichbar mit § 1 Abs 1 Einkommenssteuergesetz (EStG) auszugsweise: „Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck ‘eine in einem Vertragsstaat ansässige Person‘ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort auf Grund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, ihrer Staatsbürgerschaft, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Ortes ihrer Gründung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist; […].“

Sofern eine Person sowohl in den USA als auch in Österreich ansässig ist, ist nach Abs 2 der zitierten Bestimmung zunächst zu beurteilen, in welchem der beiden Staaten die Person den Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen pflegt bevor subsidiär auf den gewöhnlichen Aufenthalt dieser Person abzustellen ist.

In einer erst kürzlich ergangenen Entscheidung befasste sich das Bundesfinanzgericht (BFG) mit der Frage, welche Kriterien bei einer Auslandsentsendung zur Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nach Art 4 Abs 2 DBA USA heranzuziehen sind. Dieser Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beschwerdeführer war über einen Zeitraum von circa zwei Jahren im Rahmen einer befristeten Auslandsentsendung durch seinen österreichischen Arbeitgeber in den USA beschäftigt. Zur Erfüllung seiner dienstvertraglichen Pflichten gegenüber dem amerikanischen Übernehmer übersiedelte der Arbeitnehmer mit seiner Ehegattin, seinen Kindern und seinen Haustieren in die USA. Während des gesamten zweijährigen Zeitraums verfügte der Beschwerdeführer sowohl in Österreich als auch in den USA über Wohnräume und bestanden auch sonstige persönliche wie wirtschaftliche Anknüpfungspunkte zu den USA und auch weiterhin zu Österreich. Die in beiden Staaten befindlichen Wohnungen standen dem Beschwerdeführer während des gesamten Entsendungszeitraums jederzeit zur freien Verfügung. Unter Zugrundlegung dieser Gegebenheiten ging das österreichische Finanzamt davon aus, dass der Mittelpunkt der Lebensinteressen des Beschwerdeführers weiterhin in Österreich bestand und erließ daraufhin einen Einkommenssteuerbescheid. Der vom Beschwerdeführer dagegen erhobenen Bescheidbeschwerde gab das BFG statt und hob den Bescheid ersatzlos auf. Begründend führte das BFG aus, dass während des Entsendungszeitraums aufgrund fehlenden Überwiegens von persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Österreich der gewöhnliche Aufenthalt in den USA anzunehmen wäre. Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) gab der gegen die Entscheidung des BFG ergriffenen außerordentlichen Revision durch das Finanzamt statt und hob das Erkenntnis des BFG auf, zumal das BFG verschiedene Umstände bei der Beurteilung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nicht berücksichtigt habe. Unter Beachtung der das ursprüngliche Urteil des BFG aufhebenden Entscheidung des VwGH judizierte das BFG schlussendlich wie folgt:

Die Feststellung, an welchem Ort und zu welchem Staat eine steuerpflichtige Person seine engeren persönlichen und wirtschaftlichen Beziehungen hat und somit den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen gemäß Art 4 Abs 2 lit a DBA USA darstellt, ist anhand des Gesamtbildes der persönlichen als auch wirtschaftlichen Verhältnisse zu beurteilen, wobei das Überwiegen zu einem der Staaten den Ausschlag gibt. In Kontrast zu den persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen kommen den wirtschaftlichen Verhältnissen geringere Bedeutung zu, wobei wirtschaftliche Bindungen vor allem von örtlich gebundenen Tätigkeiten als auch von Vermögensgegenständen in Form von Einnahmequellen ausgehen. Zu den persönlichen Verhältnissen des Steuerpflichtigen zählen alle in seiner Person liegenden Gründe, die ihn mit einem bestimmten Ort in Verbindung bringen, darunter vor allem familiäre Bindungen sowie Betätigungen gesellschaftlicher, religiöser und kultureller Art. Nach der Rechtsprechung des VwGH werden wirtschaftliche und persönliche Verhältnisse zur Ergründung des Mittelpunkts der Lebensinteressen nicht nur über eine Zeitspanne von einem Jahr betrachtet, sondern ist auf einen längeren Beobachtungszeitraum abzustellen.

In Anlehnung an die eben dargestellten und in der Rechtsprechung etablierten Grundsätze sprachen im gegenständlichen Fall vor allem der in Österreich angemeldete Nebenwohnsitz der Familie des ins Ausland entsandten Arbeitnehmers, sowie die durchgehende österreichische Sozialversicherung als auch die von der Ehefrau in Österreich getätigten Spendenzahlungen für einen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich. Auch die Umstände, dass der Beschwerdeführer über ein österreichische Bankkonto verfügte, während der gesamten Entsendung der Dienstvertrag zu seinem österreichischen Arbeitgeber aufrecht blieb, eine Wiedereingliederung seiner Kinder in das österreichische Schulsystem angestrebt wurde und die engeren Verwandten des Beschwerdeführers, darunter dessen Vater, Schwiegermutter und Schwager, in Österreich verblieben, wurden vom BFG als Gründe angeführt, die eine vermeintlich engere persönliche und wirtschaftliche Bindung zu Österreich annehmen ließen. Weiters fanden durch das BFG auch die Tatsachen Berücksichtigung, dass sich der Beschwerdeführer in den USA in keinem Verein betätigte und auch sonst über keine persönlichen Beziehungen verfügte, die über den Kontakt mit Arbeitskollegen hinausgingen. Von diesen unstrittig feststehenden Sachverhaltselementen ausgehend sprach sich das BFG schlussendlich für einen Mittelpunkt der Lebensinteressen in Österreich aus, sodass der Beschwerdeführer für die Zeit der Auslandsentsendung der österreichischen Steuerpflicht unterlag und seine Beschwerde gegen den Einkommenssteuerbescheid des Finanzamtes als unbegründet abgewiesen wurde.

Die Annahme des BFG, der Mittelpunkt der Lebensinteressen liege in Österreich, ist unter Würdigung aller Umstände dieses Einzelfalls sachlich nachvollziehbar. Nichtsdestotrotz sollten folgende, vom BFG zur Rechtfertigung eines Lebensmittelpunkts in Österreich angeführten Aspekte hinterfragt werden: das BFG gibt einerseits zu erkennen, dass der aufrechte Bestand des österreichischen Arbeitsvertrags zum österreichischen Arbeitgeber für eine engere Bindung zu Österreich spricht. Andererseits müsse auch der Verbleib von Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich Berücksichtigung finden. Hinsichtlich des aufrechten Arbeitsvertrags ist anzumerken, dass es geradezu kennzeichnend für eine klassische Auslandsentsendung ist, dass der Arbeitgeber des entsandten Arbeitnehmers derselbe bleibt, und sohin auch der Arbeitsvertrag mit diesem fortbesteht. Würde man dieses Argument bei der Ermittlung des Lebensmittelpunkts tatsächlich berücksichtigen, so würde der Bestand des Arbeitsvertrags bei nahezu jeder gewöhnlichen Auslandsentsendung gegen einen Mittelpunkt der Lebensinteressen im entsandten Staat sprechen. Auch das zweite Argument erscheint fragwürdig, zumal in den meisten Fällen, in denen eine Person aufgrund einer Auslandsentsendung in einen anderen Staat umsiedelt, nur die Kernfamilie (Ehegatte und Kinder) mitumsiedelt, und nicht auch die sonstige Verwandtschaft.