Ersitzung eines Wohnungseigentumsobjekts trotz Unkenntnis des Grundbuchbestands

Liegenschaftsrecht Allgemeines Zivilrecht
März 2024

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde: Der Schuldner verkaufte im Jahr 1990 ein Wohnungseigentumsobjekt „samt allem rechtlichen und tatsächlichen Zugehör“ welches er mit der – im Kaufvertrag nicht erwähnten Garage – an die Erwerberin übergab.

Im Grundbuch erfolgte daraufhin auch nur die Einverleibung des Eigentumsrechts an der Wohnung, welche in der Folge weitere vier Male „samt Garage“ veräußert wurde. Alle Verkäufer und Erwerber gingen davon aus, dass die Garage Zubehör der Wohnung sei und mit dem Kauf auch an dieser sogenanntes (Zubehörwohnungs-)Eigentum erworben werde. Alle Erwerber und Verkäufer nutzten die Garage exklusiv und bezahlten die dafür vorgeschriebenen Betriebskosten und Annuitäten. Im Grundbuch war jedoch immer noch der Schuldner als Eigentümer vermerkt.

Der Kläger war der letzte Erwerber des Objekts und begehrte dieser den Insolvenzverwalter des Schuldners zur Zustimmung zur Einverleibung seines ersessenen Eigentumsrechts an der Garage zu verpflichten. Nachdem das Erstgericht die Klage abgewiesen hatte, das Berufungsgericht der Klage hingegen stattgab, war der OGH mit der Frage befasst, ob die Unkenntnis des Grundbuchstands und des Inhaltes des Wohnungseigentumsvertrags die Redlichkeit des Erwerbers ausschließe. Das Höchstgericht legte folgende rechtliche Beurteilung dar:

Grundsätzlich ist die Ersitzung eines bereits bestehenden Wohnungseigentumsobjekts möglich. Voraussetzungen für die Ersitzung nach § 1477 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) sind neben dem Zeitablauf echter und redlicher Besitz eines Rechts, das seinem Inhalt nach dem zu erwerbenden Recht entsprochen hat, und der Besitzwille.

Redlichkeit verlangt den Glauben an einen gültigen Titel. Maßgeblich ist demgemäß das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit der Besitzausübung, das beim Besitzerwerb und während der ganzen Ersitzungszeit vorhanden sein muss. Der gute Glaube geht verloren, wenn der Besitzer positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder zumindest solche Umstände erfährt, die Anlass geben, an der Rechtmäßigkeit der Besitzausübung zu zweifeln, wobei bereits leichte Fahrlässigkeit die Redlichkeit ausschließt. Da die Redlichkeit nach § 328 ABGB vermutet wird, trifft den Gegner für die Fehlerhaftigkeit und Unredlichkeit des Besitzes die Behauptungs- und Beweislast. Der OGH betonte, dass die Qualifikation des Verhaltens des Besitzers als redlich oder unredlich immer von den Umständen des konkreten Falls abhängt.

Dass im gegenständlichen Fall aus dem Grundbuch zu erkennen gewesen wäre, dass die Garage ein eigenes Wohnungseigentumsobjekt und bei der Wohnung kein Zubehör eingetragen ist, schließt die Redlichkeit nicht von vornhinein aus. Nachforschungspflichten bestehen grundsätzlich erst dann, wenn ein (indizierter) Verdacht besteht, dass die tatsächlichen Besitzverhältnisse nicht dem Grundbuchstand entsprechen.

Der Beklagte hatte zu keinem Zeitpunkt aufgezeigt, welchem Verdachtsmoment die Erwerber nachgehen hätten müssen. Darüber hinaus erachtete der OGH hinsichtlich der Feststellung des Berufungsgerichts, welches eine redliche Besitzausübung angenommen hatte, weil die Garage den jeweiligen Erwerbern übergeben wurde und diese sie exklusiv genutzt und alle Kosten getragen haben, keine Notwendigkeit der Korrektur im Einzelfall. Für die hier vorliegende uneigentliche Ersitzung nach § 1477 ABGB reicht es demnach aus, dass die Garage der ersten Erwerberin im Zuge des Kaufs der Wohnung übergeben wurde und sie davon ausging, auch daran (Wohnungs-)Eigentum zu erwerben.