Gilt das Recht auf ungehinderte Überquerung einer Fahrbahn auch für E-Scooter?

Verkehrsrecht Schadenersatzrecht
September 2024

E-Scooter sind mittlerweile aus dem Alltag vieler nicht mehr wegzudenken und erfreuen sich gerade in Städten immer größerer Beliebtheit. Durch die Möglichkeit, flexibel durch die Straßen und den Verkehr zu manövrieren, sind sie sowohl für Jung und Alt eine attraktive Möglichkeit der Fortbewegung. Dabei muss berücksichtigt werden, dass auch E-Scooter-Fahrer bei Benützung öffentlicher Straßen als Verkehrsteilnehmer fungieren, und somit zahlreichen gesetzlichen Regelungen unterliegen. Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde:

Ausgangspunkt des Rechtstreits war ein Zusammenstoß auf einer Kreuzung in Salzburg zwischen der klagenden E-Scooter-Fahrerin, die bei Grünlicht der für sie geltenden Ampelanlage eine Kreuzung geradeaus durchqueren wollte und einem ebenfalls bei Grünlicht in diese Kreuzung nach rechts einbiegenden LKW. Die Klägerin begehrte in Folge der Kollision Schadenersatz mit dem Argument, ihr müsse ein gefahrloses Überqueren der Straße ermöglicht werden. Der Beklagte hingegen wendete ein, dass die Klägerin gegen die Unterordnungspflicht für E-Scooter-Fahrer in § 88b Abs 3 Straßenverkehrsordnung (StVO) verstieß, die sie dazu verpflichte, andere Verkehrsteilnehmer weder zu behindern noch zu gefährden. Der OGH führte in seinen rechtlichen Erwägungen Folgendes aus:

Zunächst stellte das Höchstgericht fest, dass die Frage, wer im Ausgangsfall fahren durfte und wer halten musste, durch § 38 StVO geregelt wird, zumal es sich um eine durch Lichtsignale geregelte Kreuzung handelt. § 38 StVO normiert im Unterschied zu den in § 19 StVO geregelten Vorrangbestimmungen keine Vorrangregel, sondern nur eine allgemeine Verhaltensregel. Demnach erwächst einem Fußgänger und Radfahrer das Recht auf ungehinderte und ungefährdete Überquerung der Fahrbahn bei Grünlicht der für sie geltenden Lichtsignale. Dies gilt unabhängig davon, ob in der betreffenden Kreuzung eine Radfahrüberfahrt vorhanden ist oder nicht, sodass dies im Ausgangsfall keiner näheren Beurteilung bedurfte. Radfahrer dürfen somit allgemein als berechtigte Benützer eines freigegebenen Fahrstreifens, den sie geradeaus übersetzen wollen, weder gefährdet noch behindert werden. Fraglich war, ob diese für Radfahrer in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gefestigten Grundsätze auch auf E-Scooter-Fahrer übertragen werden können. Dies wurde im Ergebnis vom Höchstgericht bejaht, zumal es sich unabhängig von einer Fahrzeugeigenschaft eines E-Scooters bei E-Scooter-Fahrern um berechtigte Benützer des freigegebenen Fahrstreifens im Sinne des § 38 Abs 4 Satz 3 StVO handelt. Somit steht im Ergebnis auch der Klägerin das Recht auf ungehinderte und ungefährdete Überquerung der Fahrbahn bei Grünlicht der für sie geltenden Lichtsignale zu. Der vom Beklagten ins Treffen geführte Verstoß gegen die Unterordnungspflicht nach § 88b Abs 3 StVO liegt nicht vor, da die Unterordnungspflicht im Anwendungsbereich des § 38 Abs 4 StVO nicht einschlägig ist.

Offen ließ das Höchstgericht die Frage, ob E-Scooter als Fahrzeuge im Sinne des § 2 Abs 1 Z19 StVO einzustufen sind oder nicht, zumal die Anwendbarkeit des zur Beurteilung des Ausgangsfalles maßgeblichen § 38 Abs 4 StVO nicht auf eine Fahrzeugeigenschaft abstellt. Ob die Fahrzeugeigenschaft somit bejaht werden kann, bleibt zumindest eine durch den OGH noch ungeklärte Rechtsfrage. In der bisher veröffentlichten zweitinstanzlichen Rechtsprechung wird der (kleine) E-Scooter nicht als Fahrzeug nach § 2 Abs 1 Z19 StVO qualifiziert.