Keine Urlaubsersatzleistung bei unberechtigtem vorzeitigem Austritt?

Arbeitsrecht
November 2021


Gemäß § 10 Abs 1 Urlaubsgesetz gebührt dem Arbeitnehmer für das Urlaubsjahr, in dem das Arbeitsverhältnis endet, zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine Ersatzleistung als Abgeltung für den der Dauer der Dienstzeit in diesem Urlaubsjahr im Verhältnis zum gesamten Urlaubsjahr entsprechenden Urlaub. Bereits verbrauchter Jahresurlaub ist auf das aliquote Urlaubsausmaß anzurechnen.

Gemäß § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz gebührt eine Ersatzleistung nicht, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) befasste sich kürzlich mit der Frage, ob § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz in Einklang mit geltendem Unionsrecht steht. In seinem Urteil führte der EuGH aus, dass nach ständiger Rechtsprechung des EuGH der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen sei, von dem nicht abgewichen werden dürfe und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den vom Europäischen Parlament und Rat gezogenen Grenzen umsetzen dürfen. Insbesondere dürfe der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht restriktiv ausgelegt werden.

Der Anspruch auf Jahresurlaub stelle außerdem nur einen der beiden Aspekte des als unionssozialrechtliches Grundrecht verankerten Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub dar. Dieses Grundrecht umfasse somit auch einen Anspruch auf Bezahlung und – als eng mit diesem Anspruch auf „bezahlten“ Jahresurlaub verbundenen Anspruch – den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Jahresurlaub. Wenn das Arbeitsverhältnis endet, sei es nicht mehr möglich, tatsächlich bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer wegen dieser Unmöglichkeit jeder Genuss dieses Anspruchs, selbst in finanzieller Form, verwehrt wird, sehe das Unionsrecht daher vor, dass der Arbeitnehmer Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat.

Ferner ergebe sich sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass für das Entstehen des Anspruchs auf eine finanzielle Vergütung keine andere Voraussetzung verlangt werden dürfe als die, dass zum einen das Arbeitsverhältnis beendet ist und dass zum anderen der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin nicht den gesamten Jahresurlaub genommen hat, auf den er bzw. sie bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Anspruch hatte. Der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf den Anspruch auf eine finanzielle Vergütung sei daher nicht maßgeblich.

Im vorliegenden Fall habe der Arbeitnehmer während des Bezugszeitraums tatsächlich gearbeitet. Er habe somit einen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erworben, von dem ein Teil bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch nicht verbraucht worden war. Die finanzielle Vergütung für nicht genommene Urlaubstage sei ihm allein deshalb verweigert worden, weil er das Arbeitsverhältnis vorzeitig und ohne wichtigen Grund beendet habe.

Da nach den Vorgaben des Unionsrechts der Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses für die finanzielle Vergütung des nicht verbrauchten Urlaubes nicht maßgeblich sein darf, gelangte der EuGH zu dem Ergebnis, dass § 10 Abs 2 Urlaubsgesetz, wonach der Arbeitnehmer dann keinen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung hat, wenn der Arbeitnehmer ohne wichtigen Grund vorzeitig austritt, geltendem Unionsrecht widerspricht.