Müssen Rettungsfahrzeuge ein für die Straßenbahn vorgesehenes Haltesignal beachten?
Doch was ist zu beachten, wenn zusätzlich zu den ohnehin schon bestehenden Herausforderungen auch noch ein Rettungsfahrzeug im Einsatz hinzukommt, das eine Kreuzung aus Dringlichkeit überqueren möchte. Darf dieses Rettungsfahrzeug auch entgegen der Lichtsignale die Kreuzung überqueren? Genießt das Rettungsfahrzeug stets Vorrang vor anderen Verkehrsteilnehmern? Muss der Lenker des Rettungsfahrzeuges bei Inanspruchnahme der Fahrspur einer Straßenbahn die für die Straßenbahn vorgesehenen Lichtsignale beachten?
Mit diesen grundlegenden Fragen musste sich der Oberste Gerichtshof (OGH) in einer erst kürzlich ergangenen Entscheidung, der folgender Sachverhalt zu Grunde lag, befassen:
Im Jahr 2022 ereignete sich in Wien ein Verkehrsunfall, im Rahmen dessen der PKW der Klägerin mit dem sich im Einsatz befindlichen Rettungsfahrzeug des Beklagten kollidierte. Die Klägerin fuhr auf einem Linksabbiegefahrstreifen stadteinwärts auf eine mehrspurige und ampelgeregelte Kreuzung zu, und blieb aufgrund des für sie geltenden roten Lichtsignals vor der Haltelinie stehen. Neben diesem Linksabbiegestreifen verlaufen links davon zwei Schienenstränge für die Straßenbahn, einer stadteinwärts, der andere stadtauswärts, wobei auf der Höhe der ampelgeregelten Kreuzung neben dem Auto der Klägerin auf dem stadteinwärts verlaufenden Schienenstrang eine Straßenbahn stand, für die ebenfalls ein rotes Lichtsignal angezeigt wurde. Das sich im Einsatz befindliche Rettungsfahrzeug des Beklagten näherte sich der ampelgeregelten Kreuzung auf dem stadteinwärts befindlichen Schienenstrang der Straßenbahn und wechselte vor dem Überqueren der Kreuzung zum Ausweichen der stehenden Straßenbahn auf den stadtauswärts führenden Schienenstrang. Die Kreuzung befuhr der Lenker des Rettungsfahrzeugs in weiterer Folge ohne Berücksichtigung des für die stehende Straßenbahn geltenden roten Lichtsignals. Insofern fuhr das Rettungsfahrzeug ohne anzuhalten weiter. Da inzwischen die Ampel der Klägerin zum Linkseinbiegen auf Grünlicht schaltete, fuhr auch diese los und begann ihren Linksabbiegevorgang. Dabei stieß sie mit dem die Kreuzung geradeaus überquerenden Rettungsfahrzeug zusammen. Die Klägerin begehrte nun vom Beklagten Schadenersatz mit dem Argument, der Fahrer der Rettung habe bei Benützung des Schienenstrangs das Haltesignal für die Straßenbahn missachtet und wäre somit unzulässigerweise in die Kreuzung eingefahren.
Der OGH stellt in seiner rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts an erster Stelle fest, dass Einsatzfahrzeugen gemäß § 19 Abs 2 Straßenverkehrsordnung (StVO) immer Vorrang gebührt, gleichgültig woher sie kommen und wohin sie fahren. Im Sinne des § 26 Abs 2 StVO ist somit das im Einsatz befindliche Fahrzeug nicht an Verkehrsverbote und Verkehrsbeschränkungen gebunden. Weiters führte das Höchstgericht aus, dass in Anlehnung an § 26 Abs 5 StVO jeder Verkehrsteilnehmer verpflichtet ist, einem heranfahrenden Einsatzfahrzeug Platz zu machen und auch der Lenker des Einsatzfahrzeuges grundsätzlich davon ausgehen darf, dass die anderen Verkehrsteilnehmer seinen Vorrang berücksichtigen. Gerade diese genannten Grundsätze sind allerdings im Anwendungsbereich des § 26 Abs 3 StVO nicht heranzuziehen. Diese Vorschrift sieht vor, dass bei ampelgeregelten Kreuzungen der in § 19 Abs 2 StVO geregelte Vorrang von Einsatzfahrzeugen gerade nicht greift. Vielmehr ergeben sich die einzuhaltenden Vorrangregeln eben aus Sondervorschriften, namentlich den §§ 38 und 26 Abs 3 StVO. In Zusammenschau dieser beiden Vorschriften kann konstatiert werden, dass Lenker von Einsatzfahrzeugen zwar auch bei Rotlicht in die Kreuzung einfahren dürfen, aber nur dann, wenn sie vorher angehalten und sich überzeugt haben, dass im Rahmen des Übersetzungsvorgangs keine Personen gefährdet oder Sachen beschädigt werden. In allen Fällen muss somit das Rettungsfahrzeug bei Rotlicht, wenn auch nur kurz, anhalten.
Vor diesem Hintergrund war nun noch fraglich, ob eben das für die stehende Straßenbahn geltende rote Lichtsignal auch für den Lenker des beklagten Rettungsfahrzeuges galt und somit ein Überqueren der ampelgeregelten Kreuzung ohne vorheriges Anhalten unzulässig war. Oder ob der Lenker des Rettungsfahrzeuges bloß die allgemeine Ampelanlage der Kreuzung zu beachten hat. Hierbei verweist das Höchstgericht auf das internationale Übereinkommen über Straßenverkehrszeichen. Dieses Abkommen verfolgt das Ziel der Vereinheitlichung von Verkehrszeichen einschließlich von Verkehrslichtzeichen. Der sachliche Anwendungsbereich dieses Abkommens ist allerdings auf für den Individualverkehr geltende Lichtsignale beschränkt und nicht auf die dem öffentlichen Verkehr dienende Anlagen anwendbar, selbst wenn ein Individualverkehrsteilnehmer einen dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Fahrstreifen berechtigterweise befährt. Daraus kann abgeleitet werden, dass selbst vor dem Hintergrund, dass der Lenker des Rettungsfahrzeugs zulässigerweise auf dem Schienenstrang der Straßenbahn fuhr, das rote Lichtsignal für das Rettungsfahrzeug nicht beachtlich war. Ob im Ergebnis die allgemeine Ampelanlage bei Eintritt der Kollision grünes oder rotes Licht anzeigte, und somit bei rotem Licht ein kurzes „Anhalten“ erforderlich gewesen wäre, wurde von den Vorinstanzen noch nicht geklärt, weshalb eine Verfahrensergänzung durch die Vorinstanzen erforderlich war.