Produkthaftung bei Arzneimitteln wegen unvollständiger Gebrauchsinformation

Schadenersatzrecht Allgemeines Zivilrecht
November 2024

Das Produkhaftungsgesetz (PHG) normiert eine verschuldensunabhängige Haftung für Schäden, die an einer Person oder an einer Sache aufgrund der Fehlerhaftigkeit eines Produkts eintreten. Haftungssubjekt ist grundsätzlich der Hersteller des fehlerhaften Produkts, also derjenige, der das Produkt hergestellt und in den Verkehr gebracht hat.

Das PHG verfolgt einen sehr weiten Herstellerbegriff, sodass auch der Produzent von Teilen oder Grundstoffen des Endprodukts, ein Importeur oder auch ein Quasihersteller, der nur den Anschein erweckt, Hersteller zu sein, vom Herstellerbegriff erfasst sind. Der Einzelhändler, der die Ware an den Endkunden bringt, haftet grundsätzlich nicht nach dem PHG. Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der Produkthaftung ergeben sich vor allem bezüglich der Frage, wann ein Produkt als fehlerhaft im Sinne des § 5 PHG eingestuft werden kann.In einer erst kürzlich ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) setzte sich das Höchstgericht mit neuen Aspekten im Zusammenhang mit der Produkthaftung bei Arzneimitteln auseinander. Dieser Entscheidung lag folgender, sehr tragischer, Sachverhalt zu Grunde:

Die vierjährige Tochter der Erstklägerin verstarb im Jänner 2015 nach der Einnahme eines codeinhaltigen Hustensafts, dessen tödliche Wirkung sich aus dem Zusammenwirken mit der Lungenentzündung des Kindes und der gleichzeitigen Eingabe von Dihydrocodein ergab. Der an das Kind verabreichte Hustensaft war bereits zum damaligen Zeitpunkt rezept- und apothekenpflichtig, jedoch auch für Kinder ab drei Jahren zugelassen. Zulassungsinhaber für Österreich war die Erstbeklagte, die auf der Verpackung als auch in der Gebrauchsinformation als „pharmazeutischer Unternehmer“ angeführt war. Ausgangspunkt des Rechtsstreits war, dass in der Gebrauchsinformation des Hustensafts nicht darauf hingewiesen wurde, dass die Einnahme des Hustensafts zusammen mit dihydrocodeinhaltigen Medikamenten, oder die Verabreichung bei gleichzeitiger Lungenentzündung oder allgemein eine Überdosierung bei Kindern zu einer tödlichen Wirkung führen kann. Darauf aufbauend begehrten die Kläger Schadenersatz auf der Grundlage des PHG mit dem Argument, dass in den fehlenden Angaben in der Gebrauchsanweisung eine Fehlerhaftigkeit des Produkts liege. Die Beklagtenseite bestritt dies unter anderem mit dem Argument, dass die Gebrauchsinformation dem damaligen Stand der Wissenschaft entsprach und somit keine Fehlerhaftigkeit, genauer kein Instruktionsfehler, angenommen werden kann. Das Höchstgericht befasste sich ausgehend davon mit der Frage, wann eine Fehlerhaftigkeit eines Arzneimittels aufgrund fehlender Angaben in der Gebrauchsanweisung angenommen werden kann.

Nach § 5 Abs 1 PHG ist ein Produkt immer dann fehlerhaft, wenn es gerade nicht jene Sicherheit bietet, die man aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu erwarten berechtigt ist. Zur näheren Konkretisierung führt das Gesetz hierzu drei Kriterien demonstrativ an: zu beachten sind die Darbietung des Produkts, der Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann und der Zeitpunkt, zu dem das Produkt in Verkehr gebracht wurde. Die ständige Rechtsprechung differenziert bezüglich der Fehlerhaftigkeit zwischen Konstruktions-, Instruktions- und Produktionsfehlern. Bei den im Ausgangsfall näher ins Treffen geführten Instruktionsfehlern ergibt sich die Fehlerhaftigkeit des Produkts aus der unzureichenden Darbietung desselben. Für die Fehlerhaftigkeit des Produkts sind immer die berechtigten Sicherheitserwartungen maßgeblich, die durch den Stand der Wissenschaft im Zeitpunkt des Inverkehrbringens konkretisiert werden. Zu beachten ist, dass die Fehlerhaftigkeit allerdings nicht immer automatisch eine Haftung nach sich zieht, zumal § 8 PHG Haftungsausschlussgründe kennt. Ein solcher ist etwa in jenen Fällen verwirklicht, in denen der Fehler auf der Einhaltung zwingender Normen beruht oder wenn die Eigenschaften des Produkts nach dem Stand der Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt des Inverkehrbringens nicht als Fehler erkannt werden konnten.

In seiner Entscheidung befasste sich das Höchstgericht eingangs mit der Frage, ob mitunter ein Haftungsausschluss wegen Einhaltung zwingender gesetzlicher Vorschriften nach § 8 Z 1 PHG in Betracht kommen könnte. Hierzu hat das Höchstgericht festgestellt, dass § 8 Z 1 PHG nur dann Anwendung findet, wenn ein Fehler auf die Einhaltung zwingender Vorschriften zurückgeführt werden kann, eine bloße Orientierung an Mindestanforderungen reicht allerdings nicht aus. Zwar normiert § 16 Arzneimittelgesetz (AMG) in Zusammenschau mit der Gebrauchsinformationsverordnung der Union die Pflichtangaben für Gebrauchsinformationen von Arzneimitteln, allerdings sind die in § 16 AMG genannten Angaben keineswegs abschließend, sondern mitunter durch weitere für den Anwender wichtige Informationen zu ergänzen. Allein daraus muss abgeleitet werden, dass das Fehlen eines solchen wichtigen Hinweises zu keinem Haftungsausschluss nach § 8 Z 1 PHG führen kann. Auch der Umstand, dass für ein Arzneimittel eine behördliche Zulassung erteilt wurde, schließt die Haftung nach dem PHG nicht aus. Das Vorliegen eines zur Haftung nach dem PHG führenden Instruktionsfehlers kommt somit aufgrund der im AMG und der Gebrauchsinformationsverordnung vorgesehenen Spielräumen durchaus in Betracht.

Zum Instruktionsfehler führt der OGH aus, dass sich ein solcher aus dem gänzlichen Fehlen einer Anweisung oder aufgrund inhaltlicher Mängel der Anleitung ergeben könne. Eine Anweisung muss für den potenziellen Anwender inhaltlich klar und verständlich formuliert werden. Der Umfang der Warnhinweise bestimmt sich nach dem Ausmaß der potenziellen Schadensfolgen – umso höher die Gefahr und umso gravierender die Folgen, umso deutlicher müssen die Anweisungen ausfallen. Allgemein gilt, dass die Pflicht solcher Warnhinweise allerdings nur bei Schutzbedürftigkeit des Anwenders besteht, also in Fällen, in denen der Hersteller davon ausgehen muss, dass das Produkt in die Hände von Personen gelangen kann, die mit den Gefahren und Folgen der Verwendung des Produkts nicht vertraut sind. Für den Ausgangsfall leitete das Höchstgericht aus diesen allgemeinen theoretischen Grundlagen ab, dass die in den Gebrauchsinformationen des Hustensafts enthaltenen Angaben nicht den berechtigten Sicherheitserwartungen nach § 5 Abs 1 PHG entsprachen, und somit eine Fehlerhaftigkeit des Produkts angenommen werden musste. Aufgrund der Gefahr einer tödlichen Wirkung bei der Einnahme des Hustensafts durch Kinder, hätte auf diesen Umstand allein schon aufgrund der hohen Gefahr und der gravierenden Folgen in der Gebrauchsinformation hingewiesen werden müssen. Auch § 16 AMG verlangt explizit die Aufnahme besonderer Warnhinweise oder für den Anwender wichtiger Angaben in die Gebrauchsanweisung, worunter die obig genannten fehlenden Informationen subsumiert werden können. Selbst wenn beim Hustensaft als rezeptpflichtiges Medikament ein Aufklärungsgespräch durch Arzt oder Apotheker erfolgt, entbindet dies den Hersteller nicht von seiner Pflicht zu klaren und ausdrücklichen Warnhinweisen. Vor diesem Hintergrund blieb die Gebrauchsanweisung hinter den Anforderungen des § 16 AMG und § 5 PHG zurück, weshalb das Vorliegen eines Instruktionsfehlers bejaht wurde. Zum Einwand der Beklagten, die Gebrauchsinformation des Hustensaftes habe dem im Zeitpunkt des Inverkehrbringens (06/2014) maßgeblichen Stand der Wissenschaft entsprochen entgegnete das Höchstgericht, dass die mögliche toxische Wirkung bei Überdosierung bereits damals schon bekannt war und vor allem die Erstbeklagte selbst in einer an Ärzte gerichteten Fachinformation nach § 15 AMG die toxische Wirkung des Hustensafts thematisierte.

Im Ergebnis bejahte der OGH eine Haftung der Erstbeklagten nach dem PHG aufgrund eines, durch die unzureichende Gebrauchsanweisung des Hustensaftes bedingten, kausalen Instruktionsfehlers, ungeachtet der arzneimittelrechtlichen Zulassung.