Verspätete Einlieferung ins Krankenhaus nicht kausal für Spät- und Dauerfolgen

Schadenersatzrecht
September 2023

Einer kürzlich vom Obersten Gerichtshof (OGH) entschiedenen Rechtssache lag nachfolgender Sachverhalt zu Grunde: Die Klägerin erlitt am 23.1.2013 gegen 2:00 Uhr einen Schlaganfall und alarmierte die Rettung. Die eingetroffene Rettung mit Sanitäter unterließ jedoch den Transport ins Krankenhaus, in welches sie erst über 6 Stunden später nach einem zweiten Notruf eintraf. Die Klägerin begehrte daraufhin von der beklagten Gesellschaft, welche mit der Erbringung des öffentlichen Rettungsdienstes in Tirol beauftragt ist, Schmerzengeld und die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle zukünftigen, noch nicht vorhersehbaren Schäden. Sie brachte vor, dass sie aufgrund des verweigerten Transports um 2:00 Uhr keine Lyse-Therapie mehr erhalten hatte und nunmehr an Spät- und Dauerfolgen leidet, welche durch einen rechtzeitigen Transport vermieden werden hätte können.

Unstrittig ist, dass der unterbliebene Transport ins Krankenhaus gleich um 2:00 Uhr nachts rechtswidrig und schuldhaft war und durch Anrufen in der Notrufzentrale und der Ausfahrt des Rettungswagens ein Vertragsverhältnis zwischen den Parteien zustande gekommen war. Die Beklagte bestritt jedoch das weitere Vorbringen der Klägerin und vertrat die Ansicht, dass das Verhalten der Sanitäter nicht kausal für den eingetretenen Schaden war. Zudem liege wegen der massiven Vorerkrankungen der Klägerin alternative Kausalität vor und sei aufgrund der Risikofaktoren nicht klar, ob eine Lyse-Therapie überhaupt durchgeführt worden wäre.

Diesbezüglich hielt der OGH fest, dass die Durchführung einer Lyse-Therapie im Jahr 2013 kein Standardverfahren war, sondern eine unter Berücksichtigung der begleitenden und vorbestehenden Pathologien und des Akutbefundes individuelle Therapieentscheidung des diensthabenden behandelnden Arztes. Angesichts der Vorerkrankungen der Klägerin und des konkreten Infarktgeschehens war es durchaus zweifelhaft, dass eine solche Behandlung bei ihr durchgeführt worden wäre. Rein statistisch bestehen zudem nur bei einem von vier Patienten Erfolgsaussichten, wenn das „Lyse-Fenster“ von 4,5 Stunden eingehalten wird. Es konnte nicht festgestellt werden, ob bei der Klägerin eine solche Therapie bei einer früheren Einlieferung ins Krankenhaus durchgeführt worden wäre und ob bei Durchführung einer solchen Behandlung das neurologische Defizit der Klägerin vermieden hätte können oder weitere Defizite verblieben wären.

Das Höchstgericht hielt zunächst fest, dass grundsätzlich dem Geschädigten der Beweis für den Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem Eintritt des Schadens obliegt. Nachdem im gegenständlichen Fall das Verhalten des Schädigers in einem Unterlassen bestand, wäre die Kausalität für den Schaden dann nicht gegeben, wenn derselbe Nachteil auch bei pflichtgemäßem Tun entstanden wäre. Umgekehrt genügt der Nachweis, dass der Schaden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Unterlassen des pflichtgemäßen Handelns zurückzuführen ist.

Bei Verletzung von Schutzgesetzen im Sinne des § 1311 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) fordert die ständige Rechtsprechung keinen strengen Beweis des Kausalzusammenhangs. Der Beweis des ersten Anscheins spricht in diesen Fällen dafür, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde. Es obliegt dann dem Schädiger, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit ernstlich zweifelhaft zu machen.

An möglicherweise mit ärztlichen Behandlungsfehlern zusammenhängenden Gesundheitsschäden von Patienten sind wegen der besonderen Schwierigkeit eines exakten Beweises an den Kausalitätsbeweis geringere Anforderungen zu stellen. Für den dem Patienten obliegenden Beweis der Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden genügt der Nachweis, dass die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts durch den Fehler der Ärzte nicht bloß unwesentlich erhöht wurde. Ist dieser Beweis gelungen, hat der Schädiger zu beweisen, dass im konkreten Behandlungsfall das Fehlverhalten mit größter Wahrscheinlichkeit für den Schaden unwesentlich geblieben ist.

Der OGH stellte fest, dass ausgehend von diesen Grundsätzen der Klägerin der Nachweis, dass ihre aus dem Schlaganfall resultierenden Folgen kausal durch die Unterlassung (Nichteinlieferung ins Spital um 2:00 Uhr) verursacht wurden, nicht gelungen ist. Es sei ihr zwar der Nachweis gelungen, dass bei einer früheren Einlieferung grundsätzlich die Möglichkeit einer Lyse-Therapie bestanden hätte, allerdings sei ihr nicht auch der Beweis gelungen, dass die Behandlung tatsächlich durchgeführt worden wäre oder lege artis hätte durchgeführt werden müssen. Da die Durchführung der Lyse-Behandlung 2013 nicht bei jedem Schlaganfallpatienten, der zeitgerecht ins Spital eingeliefert wird, sondern abhängig von unterschiedlichen Kriterien auf Basis einer jeweils individuellen Entscheidung des behandelnden Arztes erfolgt, könne auch nicht von einem typischen Geschehensablauf im Sinne des Anscheinsbeweises gesprochen werden. Die Klage wurde daher abgewiesen.