Wird eine Privatstiftung mangels Begünstigter aufgelöst?
Privatstiftungen werden häufig gegründet, um Vermögenmassen zur Erfüllung bestimmter fremd- oder eigennütziger Ziele zu schaffen. Ursprünglich wurde auf Privatstiftungen häufig aus steuerlichen Gründen zurückgegriffen, wobei dieser Aspekt in den letzten Jahren, bedingt durch Gesetzesnovellen, die den steuerlichen Vorteilen entgegenwirkten, in den Hintergrund getreten ist. Privatstiftungen werden durch Abfassung einer Stiftungserklärung errichtet und entstehen nach außen hin mit der Eintragung im Firmenbuch. § 35 Abs 1 PSG regelt Fälle, in denen die Privatstiftung aufgelöst wird, Abs 2 der zitierten Bestimmung jene Situationen, in denen die Auflösung durch den Vorstand der Privatstiftung beschlossen werden muss.
In einer erst kürzlich ergangenen Entscheidung des Obersten Gerichtshof (OGH) befasste sich das Höchstgericht mit der Frage, wann von der Erreichung oder Unerreichbarkeit des Stiftungszwecks ausgegangen werden kann, der eine Pflicht des Stiftungsvorstands zur Fassung eines einstimmigen Auflösungsbeschlusses zur Folge hat. Vor allem befasste sich Höchstgericht in diesem Zusammenhang mit der Auslegung der vom Stifter zur Errichtung der Privatstiftung abgefassten Stiftungserklärung. Der Entscheidung lag dabei folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Antragsgegnerin (Stiftung) im Verfahren vor dem OGH wurde mit Stiftungsurkunde vom 06.02.2006 errichtet und ist am 11.05.2006 als juristische Person durch Eintragung im Firmenbuch entstanden. Die Antragssteller waren bis zu ihrer gerichtlichen Abberufung 2008 Mitglieder des ersten Stiftungsvorstands der Antragsgegnerin und werden außerdem als Letztbegünstigte in der Stiftungszusatzurkunde angeführt. Als Zweck der Privatstiftung wurde in der Stiftungsurkunde die Versorgung der als Begünstigte in der Stiftungszusatzurkunde beziehungsweise im Familienbuch ausgewiesenen Personen benannt. Das in diesem Zusammenhang angeführte Familienbuch sollte laut Stiftungsurkunde vom Stiftungsvorstand angelegt und geführt werden, wobei darin auch die konkret Begünstigten zu benennen waren. Alle drei in der Stiftungszusatzurkunde ausgewiesenen Begünstigten, darunter auch die Stifterin, waren bereits verstorben. Von den im Familienbuch genannten Begünstigten waren noch zwei am Leben. Die Antragsteller strebten die Auflösung der Privatstiftung gem § 35 Abs 3 PSG an. Demnach wäre eine Auflösung der Privatstiftung erforderlich, zumal der Stiftungszweck wegen Ablebens aller in der Stiftungszusatzurkunde genannten Begünstigten nicht mehr erreichbar wäre. Die Antragsgegnerin hielt dem entgegen, dass noch zwei der im Familienbuch benannten Begünstigten lebten. Fraglich war im Ausgangsfall, ob durch die Stiftungszusatzurkunde der Begünstigtenkreis bereits abschließend festgelegt wird, oder ob mitunter dem Stiftungsvorstand die Zuständigkeit zukommt, weitere Begünstigte zu benennen. Diese Frage ist insofern von Bedeutung, zumal bei Bejahung der Zuständigkeit des Stiftungsvorstands zur weiteren Feststellung von Begünstigten gerade keine Unerreichbarkeit des Stiftungszwecks eintritt und somit auch kein Auflösungsgrund vorliegt. Hierzu erkannte das Höchstgericht wie folgt:
§ 35 Abs 2 Z 2 PSG legt fest, dass der Stiftungsvorstand in jenen Fällen, in denen der Stiftungszweck erreicht wurde oder nicht mehr erreicht werden kann, einen einstimmigen Auflösungsbeschluss zu fassen hat. Von der Nichterreichbarkeit des Stiftungszwecks ist dann auszugehen, wenn die Stiftung über kein ausreichendes Stiftungsvermögen mehr verfügt, oder auch dann, wenn keine Begünstigten mehr vorhanden sein sollten. Letzteres führt aber nur dann zur Unerreichbarkeit des Stiftungszwecks, wenn der Stiftungszweck nicht auf die Begünstigung der Allgemeinheit gerichtet ist oder nicht mehr damit gerechnet werden kann, dass die Privatstiftung weitere Begünstigte haben wird. Die Beurteilung erfolgt immer anhand der Umstände des Einzelfalls, wobei den Regelungen zur Auslegung von Stiftungserklärungen besondere Bedeutung zukommt. Die Auslegung richtet sich nach den für Satzungen juristischer Personen etablierten Grundsätzen, was bedeutet, dass korporative Bestimmungen nicht nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung interpretiert werden, sondern unter Anwendung der §§ 6 und 7 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB) wie Gesetzesrecht. Zur Inhaltsbestimmung korporativer Regelungen in einer Stiftungsurkunde oder Stiftungszusatzurkunde, wobei darunter alle Klauseln subsumiert werden, die nicht nur gegenwärtig, sondern auch für künftige Gesellschafter oder Dritte von Bedeutung sein können, wird sohin auf den Wortlaut und Zweck der Klausel in ihrem systematischen Zusammenhang abgestellt. Diese theoretische Grunderkenntnis spielte im Ausgangsfall insofern eine Rolle, als zu beurteilen galt, ob die dem Stiftungsvorstand übertragene Kompetenz zur Führung eines Familienbuchs auch die Kompetenz umfasst, weitere Personen als Begünstigte zu bestimmen. Der OGH vertrat hierbei unter Bekräftigung der zweitinstanzlichen Entscheidung die Ansicht, dass in der Anordnung zur Führung eines Familienbuchs durch den Stiftungsvorstand, in welches die Begünstigten der Privatstiftung einzutragen sind, auch als Grundlage zur Feststellung weiterer Begünstigten gesehen werden kann. Im Ergebnis bekräftigte der OGH sohin die Entscheidungen des erst- und zweitinstanzlichen Gerichts, welche dem Antrag auf Auflösung der Privatstiftung keine Folge gaben. Dies findet seine Rechtfertigung darin, dass durch die zutreffende Annahme einer Kompetenz des Stiftungsvorstandes zur künftigen Ausdehnung des Begünstigtenkreis gerade nicht von der Unerreichbarkeit des Stiftungszwecks ausgegangen werden kann. Vielmehr kann damit gerechnet werden, dass die Antragsgegnerin in der Zukunft durch die Feststellungskompetenz des Stiftungsvorstands weitere Begünstigte haben wird/kann.